Während zu Beginn der Corona-Pandemie die Umsätze des deutschen Einzelhandels Einbußen hinnehmen mussten, ist im Mai bereits vom „größte[n] Umsatzanstieg seit Beginn der Datenerhebung 1994“ die Rede. Wie aber haben Angestellte in Filialen vor Ort diese turbulente Zeit erlebt? Ich habe mich mit einem Supermarktleiter im Park getroffen und ihn befragt.
I: Erzähl mir doch mal was Du für einen Arbeitsplatz und welche Position Du hast und wie Du so die Corona Zeit bis jetzt erlebt hast.
B: Ich arbeite im Lebensmitteleinzelhandel in Berlin. Meine Position ist dort Marktleiter. Zur Anfangszeit von Corona war uns im Markt gar nicht bewusst was auf uns zu kommt, wenn ich ehrlich bin. Das ist uns dann ein bisschen auf die Füße gefallen, wie wahrscheinlich allen Märkten in Berlin, weil als es dann echt so hart wurde mit der Ausgangssperre und sowas, und dass der Lebensmitteleinzelhandel das einzige Geschäft ist was offen hat in Berlin, da hat man dann auch schon von den Kunden her gemerkt, dass die schon krass ihre Ellenbogen rausfahren. Wir haben bei uns das Angebot im Markt, man kann auch Kartonweise Artikel kaufen, einfach umsatzorientiertes Denken. Und dann kamen die Leute halt echt, und wollten für einen Haushalt 20 Kilo Mehl kaufen, 15 Liter Milch, einfach solche riesigen Mengen, und komplett nur dieser Egoismus. Da hat keiner an den Nachbarn gedacht. Hat jeder nur an sich gedacht, gehortet. Super unfreundlich, weil der Druck halt auch einfach da war, von den Menschen. Dazu kam natürlich auch noch, dass die Leute teilweise bei Wind und Wetter draußen stehen mussten, durch die Einlassbeschränkungen. Und wir im Markt, wir Mitarbeiter hatten ein super hohes Stresslevel. Teilweise Sechs-Tage-Wochen à 10-12 Stunden. Also es war teilweise richtig hart. Und viel Unverständnis halt auch von den Kunden, dass wenn was leer war, warum das leer ist. Als dann noch eine allgemeine Ausgangsbeschränkung erlassen wurde, haben wir auf Arbeit so einen Passierschein bekommen, dass wenn wir von der Polizei kontrolliert werden, können wir denen halt vorzeigen und sagen, hier ich arbeite im Lebensmitteleinzelhandel, ich bin systemrelevanter Mitarbeiter. Von den Kunden her hatte ich am Anfang den Eindruck, Ellenbogen raus, ich sorg für mich und meine Familie, der Rest ist mir scheißegal. Mittlerweile ist es echt so, weil wir dann auch irgendwann die Einkäufe so ein bisschen eingeschränkt haben, dass dann zum Beispiel nur noch zwei Kilo Mehl gekauft werden dürfen, oder zwei Liter Milch, dass halt jeder was kriegt, dass nicht gehamstert wird. Und da muss ich sagen, nachdem dann lange leer war, wie zum Beispiel auf Nudeln hatten wir einen super krassen Ansturm, Mehl und Zucker war extrem, Milchprodukte, Konserven, klar, die halten sich lange.
I: Und war es wirklich wie man immer gehört hat, dass alle Klopapier gekauft haben?
B: Klopapier war auch, war Wahnsinn. War echt Wahnsinn. Dann haben wir schon gescherzt, die sollen sich Zewa-Rollen kaufen und die zwei Mal in der Mitte durchschneiden, haben sie auch Klopapier.
I: Also ihr habt das auch alles bisschen mit Humor genommen.
B: Ja klar muss man auch. Sonst nimmst du halt diese ganze negative Energie und diesen Stress, den die Kunden haben, nimmst du dann auch mit. Und dann kannst du halt auch nicht mehr den normalen Service gewährleisten. Und das ist uns halt auch wichtig, dass wir trotz dieser Ausnahmesituation dem Kunden ein möglichst angenehmes Einkaufen ermöglichen. Mittlerweile aber ist mir aufgefallen, dass die Leute trotz dem ganzen Stress mehr Verständnis dafür haben, wenn etwas leer ist. Jetzt läuft der Warenfluss ja wieder, aber dennoch haben die Kunden mehr Verständnis als vor dem Corona-Ausbruch, wenn etwas leer läuft. Dann akzeptieren die das eher als vorher. Und es gibt auch weniger Diskussionen an der Kasse wegen langen Schlangen und Wartezeiten, damit haben sich die Kunden auch irgendwie abgefunden.
I: Im Vergleich zu vor Corona?
B: Ja genau. Weil da hat teilweise schon der fünfte Kunde in der Schlange nach einer neuen Kasse verlangt. Und jetzt sagt es vielleicht der fünfzehnte oder sowas.
I: Also die Leute sind da schon toleranter geworden und merken es ist eine besondere Situation?
B: Ja genau. Dann hieß es für uns im Lebensmitteleinzelhandel: Maskenpflicht. Haben wir auch ziemlich positiv aufgenommen, weil im Endeffekt schützt es uns. Da wir in einem Kiez sind, in dem auch viele ältere Menschen leben, ist es mir auch wichtig, dass nicht die Oma von nebenan angehustet wird. Deswegen wurde dann auch von uns krass darauf geachtet. Das Ordnungsamt kam sogar mal zu uns in den Laden und hat überprüft ob wir alle Mundschutz tragen und ob der Mindestabstand von 1,50 m eingehalten wird. Das mussten wir dann sogar auf den Boden malen, um die Kunden auch nochmal daran zu erinnern. Ja, relativ viel Verständnis gab es auch dafür, dass die Leute draußen stehen mussten, als es die Einlassbeschränkung gab. Klar wenn es geregnet hat, hat man dann schon gesehen, dass die Leute, die eigentlich nicht unbedingt einkaufen müssten, dann weggehen.
I: Also sind die Einkäufe dann gezielter geworden?
B: Ja. Auf jeden Fall. Jetzt gibt es ja auch die Regelung, dass der Kunde Mundschutz tragen muss, woran sich auch viele halten, so bis 18 Uhr. Danach halten sich nur noch 20 Prozent daran. So gefühlt. Und die Leute die sich nicht daran halten, sind auch einfach unbelehrbar, die wollen das nicht hören. Wir als Team haben das ganz gut verkraftet. Es gab keinen der uns weggebrochen ist. Bzw. keinen, der gesagt hat, ich mach das nicht mit. Da haben eigentlich alle mitgezogen. Obwohl es echt eine harte Zeit war. Ach genau, aufgefallen ist mir noch, dass die bargeldlose Zahlung ganz ganz stark zugenommen hat. Selbst die älteren Leute, die vorher eigentlich immer mit Bargeld gezahlt haben, zahlen jetzt überwiegend mit Karte, um sich vor einer Infektion über Bargeld zu schützen.
I: Fällt dir vielleicht ein besonders positives und ein besonders negatives Erlebnis ein?
B: Das negativste war eigentlich meiner Meinung nach, dass die Kunden so egoistisch waren und wegen eine Rolle Klopapier diskutiert haben. Das war eigentlich so das negativste, diese Ellenbogenmentalität. Nur ich, alle anderen sind mir egal. Und positiv ist, dass die Kundschaft jetzt mehr Verständnis aufbringt, wenn etwas leer ist.
I: Mich würde noch interessieren, ob es vielleicht Momente mit besonderer Solidarität gab, die es vielleicht vor dieser Krise nicht gab?
B: Wir Mitarbeiter haben darauf geachtet, dass ältere Leute nicht in der Schlange stehen müssen, als es noch Einlassbeschränkungen gab. Außerdem konnten Mitarbeiter der Polizei und Feuerwehr umsonst einkaufen. Aber ansonsten so von den Kunden untereinander, eigentlich nicht.
I: Ok.
B: Doch, was ich von einem Kollegen, der auch mit im Marktleiterteam ist, richtig gut fand, der hat dafür gesorgt, dass wir nicht den kompletten Bestand an Nudeln und Mehl usw. in den Verkaufsraum bringen, sondern dass auch für uns Mitarbeiter dafür gesorgt wurde, nach Feierabend im Lager unseren Privatbedarf abdecken zu können. Das war schon ne richtig geile Aktion von dem Kollegen, dass er gesagt hat, komm wir machen uns unten noch unseren eigenen Einkaufstisch, wo halt die wichtigsten Sachen drauf sind. Und da können wir als Team dann noch Einkaufen.
I: Da gab es dann den kleinen eigenen Laden für euch.
B: Ja genau.
I: Findest Du, es hat sich alles wieder normalisiert? Was merkt man jetzt noch von der Krise? Ist alles wieder wie vorher? Was ist geblieben?
B: Geblieben ist teilweise die Angst der Kunden, ihre Einkaufsliste nicht komplett bei uns abarbeiten zu können.
I: Wie merkt man das?
B: Ja durch Hektik, immer wieder nachgucken, viel Fragen. Wir werden viel gefragt, ob wir nicht nach unten gehen können, gucken ob nicht doch noch etwas da ist. Solche Sachen. Außerdem ist der Konsum von Konserven zurückgegangen, wobei die Frische krass in die Höhe geschossen ist, frische Obst und Gemüseartikel. Das merkt man schon, dass da der Umsatz und der Bedarf krass angestiegen ist. Mehl und Zucker hat ja jetzt jeder genug. Ansonsten hat sich das schon relativ normalisiert, außer der Mundschutz. Daran merkt man schon noch die Ausnahmesituation.
I: Hattet ihr denn überhaupt Corona-Fälle in eurem Laden?
B: Tatsächlich hatten wir einen Kollegen, der sich über seine Mutter mit dem Virus infiziert hat. Das hat dann so krass Wellen geschlagen, dass wir uns mit dem zuständigen Gesundheitsamt in Verbindung setzen mussten, und die Leute, die in einem bestimmten Zeitraum mit dem erkrankten gearbeitet haben, wurden dann auch zwei Wochen unter Quarantäne gesetzt. Dann mussten wir uns auch testen lassen. Ich musste auch nach Hause.
I: Wurde dann die ganze Filiale geschlossen?
B: Ne es wurde ausgetauscht einfach. Es kamen Mitarbeiter aus anderen Filialen.
I: Aber musste Eure ganze Belegschaft dann in Quarantäne?
B: Zwei Drittel der Belegschaft waren bestimmt weg.
I: Alles klar. Das war ganzschön interessant. Vielen Dank dafür.