E-Voting – Die Wahlkabine im eigenen Wohnzimmer

Bereits seit 2005 können Estlands Wahlberechtigte auf den Gang zur Wahlkabine verzichten und ihre Stimme online abgeben. 

Sie sind damit die erste Nation weltweit, die rechtsverbindliche Online-Wahlen auf staatlicher Ebene einsetzte.

E-Voting in Estland

Estland gilt als Vorreiter der Digitalisierung. Das Land zeichnet sich durch eine hohe Verbreitung von Internetzugängen und eine enge Verzahnung von E-Government und E-Business-Applikationen aus. Ebenso erhalten alle BürgerInnen eine nationale ID-Karte mit Signaturfunktion, die gleichzeitig die Grundlage für das E-Voting darstellt. Bei der letzten Parlamentswahl 2019 entschieden sich etwa 28% der EstInnen für das E-Voting. Der größte Teil der NutzerInnen war dabei zwischen 35 und 44 Jahre alt.

Quelle

Wie läuft der digitale Wahlvorgang ab? Bereits vor dem eigentlichen Wahltag können die WählerInnen ihre Stimme auf der Website des Nationalen Wahlausschusses abgeben. Es folgt ein mehrstufiges Verfahren in dem zunächst die Identifizierung über die digitale Signatur des Personalausweises stattfindet. Auf dem Dokument befindet sich ein Chip, der es erlaubt, sich mithilfe eines Kartenlesegerätes zu registrieren und die Identifizierung mittels einer PIN abzuschließen. Ein Zugriff auf die Kandidatenliste ist möglich, wenn die Daten übereinstimmen. Zur Bestätigung der Stimmenabgabe ist ein zweiter Code erforderlich. Besonders hierbei ist, dass die elektronische Stimme nachträglich geändert werden kann, wobei am Ende nur die zuletzt abgegebene Stimme zählt. Ist der Datenpool final bereinigt, ist eine personenbezogene Rückverfolgung nicht mehr möglich. Estland wird häufig als Vorbild für die Übertragung des E-Votings in andere Länder genannt. Allerdings sind hierbei einige strukturelle Besonderheiten des Landes zu beachten, die das Transferieren erschweren. Zum einen ist Estland mit gerade einmal 1,32 Millionen EinwohnerInnen ein eher kleines Land, darüber hinaus gelten die EstInnen als besonders Internet affin: Bereits 2015 reichten 96% der Esten ihre Steuererklärung online ein, 2018 erledigten 80% ihre Bankgeschäfte online

Estland – Ein Vorbild für Deutschland?

In Deutschland verläuft die Entwicklung hin zum E-Voting nur zögerlich. Besonders das Ur-teil des Bundeserfassungsgerichts zur Nutzung von Wahlautomaten, welche im Nachgang an ihren Einsatz bei der Bundestagswahl 2009 für verfassungswidrig erklärt wurden, wirkt dem E-Voting entgegen. Nach Auffassung des Gerichts war der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, beim Einsatz der Wahlcomputer nicht ausreichend gegeben. Aktuell wird kaum zu On-line-Wahlen geforscht. Eines der wenigen deutschen Forschungsprojekte ist das zwischen 2009 und 2013 von der DFG geförderte Projekt „Juristisch-informatorische Modellierung von Internetwahlen“ mit einem starken Fokus auf Sozialwahlen sowie Hochschul- oder Betriebs-ratswahlen. Dennoch können Umfragen zufolge Online-Wahlen auch bei der deutschen Be-völkerung auf positive Resonanz stoßen. 2017 äußerten in einer repräsentativen Umfrage 56 Prozent, dass sie sich die Teilnahem an einer Online-Wahl vorstellen können.

Quelle

Risiken und Chancen des E-Votings

Zunächst ist hierbei die Chance auf bessere Partizipation zu nennen. Mit Hilfe des E-Votings kann orts- und zeitunabhängig gewählt werden. Besonders davon profitieren, könnten Menschen mit körperlichen Einschränkungen und im Ausland lebende Wählerinnen und Wähler. Möglich wäre ebenfalls eine bessere Erschließung der jungen, internetaffinen Bevölkerungsschicht. Auch können Stimmen schneller ausgezählt werden und die Anzahl an ungültigen Stimmen könnte verringert werden. In Estland ist ein Trend zur WählerInnenmobilisierung und eine leichte Erhöhung der Wahlquote zu verzeichnen. Das Europäische Parlament kommt allerdings zu dem Schluss: „Es ist nicht nur der Bequemlichkeitsaspekt, der die Entscheidung darüber beeinflusst, ob eine Bürgerin oder ein Bürger wählt oder nicht, sondern es sind vielmehr Gründe wie politisches Interesse oder Zufriedenheit mit dem politischen System. In Anbetracht dieser Art von Herausforderungen kann die Abstimmung im Internet keine technologische Ad-hoc-Abhilfe sein.“ In Deutschland gibt es derzeit auch viele technische Bedenken; Gefahren durch Trojaner, Viren, Schadsoftware, Spam, Phishing und andere Hackerangriffe werden häufig genannt. Kritische Stimmen gab es dazu auch in Estland, am Ende ordnete sich hier jedoch alles dem politischen Ziel unter, Vorreiter in Sachen E-Voting zu werden. Ein derartiger Wille lässt sich in Deutschland derzeit nicht finden, was sicherlich auch mit der hiesigen Infrastruktur zusammenhängt. Entsprechend wirken in Deutschland die unterschiedlichen technischen und verfassungsrechtlichen Bedenken einer Einführung des E-Votings stark entgegen.

Noa Groicher

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das:
search previous next tag category expand menu location phone mail time cart zoom edit close