
Die vorgestellte Studie wurde im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts zu Mobilität und sozialer Ungleichheit in Deutschland durchgeführt. Die zugrunde liegende Forschungsfrage lautet: Wie wirkt sich die Umstellung ins Home-Office und die damit verbundene eingeschränkte Mobilität auf die Arbeitsteilung zwischen den Elternteilen aus? Die Ergebnisse sollen auf diesem Blog präsentiert werden. Insgesamt wurden nach einer theoretischen Aufarbeitung des Themas vier Interviews mit Müttern geführt, welche anschließend mit zwei qualitativen Analysemethoden ausgewertet wurden.
Forschungsfrage | Wie wirkt sich die Umstellung ins Home-Office und die damit verbundene eingeschränkte Mobilität auf die Arbeitsteilung zwischen den Elternteilen aus? |
Datenmaterial | 4 narrative Interviews |
Sample | 4 berufstätige Mütter, zwischen 35 und 43 Jahren, mit mind. einem Kind (im Alter von 2 bis 10 Jahren) |
Auswertungsmethode | Themenanalyse und Feinstrukturanalyse nach Lueger (2010) |
Zeitraum | Juli 2020 – März 2021 |
Die Ergebnisse zeigen, dass die Mobilitätseinschränkungen während des Lockdowns sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Mütter und ihre Familien hatten. Die empfundene Belastung hing stark von den verfügbaren Ressourcen ab, insbesondere von der Größe des Hauses und dem Vorhandensein von Arbeitszimmern, aber auch von der Möglichkeit aufgrund des Berufs den Alltag flexibel zu gestalten. Das Konzept der time sovereignty, welches der britische Soziologe John Urry (2007) in seinen Arbeiten zu Mobilität beschreibt, verdeutlicht die Bedeutung ökonomischer Ressourcen, hinsichtlich der Organisation von Zeit. Die time sovereignty (zeitliche Souveränität) beschreibt den Grad an Flexibilität hinsichtlich der eigenen Nutzung von Zeit. Wie hoch oder niedrig die time sovereignty ist, hängt von ökonomischen Ressourcen ab und ist ausschlaggebend dafür, ob und wie gut Beruf und Kinderbetreuung zuhause vereinbart werden können. Daran anschließend ist auch die Mobilität eines jeden Menschen von der Möglichkeit, zeitlich flexibel zu sein, abhängig (Urry, John 2007: 192).
Insbesondere zwei der Interviews zeigen auf, wie das Zusammenfallen von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit während des Lockdowns zu einer Verknappung von Zeit geführt hat. Dies ging mit einer erschwerten Vereinbarkeit beider Arbeitsformen einher. Diese Ausnahmesituation rief auch neue Mobilitätsstrategien hervor. Beispielsweise war zu beobachten, dass die Erwerbsarbeit in die privaten Räumlichkeiten, wie Schlaf- und Esszimmer oder Küche fällt.
„Aber das ist auch ganz oft, dass ich abends im Bett einfach Emails beantworte, weil ich da einfach Zeit hab, wenn ich die Kinder dann ins Bett bringe (...)” (Susanne, 42, selbstständig, 3 Kinder)
Die Elternteile mussten neu aushandeln, welche Bereiche zu welchen Zeiten von welchem Familienmitglied benutzt werden dürfen. So wurde zum Beispiel in einer Familie bewusst entschieden, die Arbeitsräume seltener zu nutzen und dafür mehr gemeinsame Zeit im Wohnzimmer zu verbringen. In einem anderen Fall erschien es wichtig, eine Abgrenzung der Erwerbsarbeit zur Kinderbetreuung zu schaffen, indem das Schlafzimmer der Eltern zu einem Büro umfunktioniert wurde. In der beschriebenen räumlichen Koordination wurden teilweise auch traditionelle Rollenmuster sichtbar. So gehörte das Arbeitszimmer einer Interviewpartnerin wie selbstverständlich zunächst nur ihrem Mann, bis sie sich dort ebenfalls einen Arbeitsbereich einrichtet:
„uuund […] eigentlich ist immer mein Mann so ganz selbstverständlich da rein weil der auch mehr Stunden zu arbeiten hat (atmet ein) und ich bin am Esstisch.” (Lavanya, 36, Industriekauffrau mit 2 Kindern)
Zusätzlich stachen traditionell geprägte Denkmuster stärker in der Aushandlung der Aufgabenfelder hervor, wobei es auch hier Unterschiede gibt. So berichtet eine Befragte von der „exakt gleichen” Arbeitsaufteilung bei der Reproduktionsarbeit zwischen ihr und ihrem Partner. In diesem Fall erschien das gleich große Erwerbsarbeitspensum als ausschlaggebend. Bei den anderen Interviewpartnerinnen zeigte sich, dass die bereits vor dem Lockdown bestehende Arbeitsteilung größtenteils fortgeführt wurde. Da in diesen Fällen die Väter die Hauptverdiener der Familie sind, wurde die Reproduktionsarbeit vorwiegend von den Müttern übernommen, obgleich auch hier Unterschiede deutlich wurden: So war der Vater in einem Fall auch während seiner Arbeitszeit immer wieder für die Kinder verfügbar, während in einer anderen Familie die Aufgabe des Homeschoolings von der Mutter übernommen wurde und sich in einem dritten Interview herausstellte, dass die Erwerbsarbeit der Mutter der Reproduktionsarbeit untergeordnet werden musste. Eine Hierarchisierung von Erwerbs- über Reproduktionsarbeit ist bei keiner der Mütter zu vermerken. Der Grund hierfür lässt sich in der Unmöglichkeit des Aufschiebens reproduktiver Tätigkeiten (Versorgung der Kinder) vermuten und fällt durch ein geringeres Erwerbsarbeitsvolumen in drei von vier Fällen ohnehin in das Feld der Mütter.
Auffällig erscheint dabei die vermeintliche Selbstverständlichkeit, mit der Reproduktionsarbeit von den Müttern bedacht wird und die häufig in Widerspruch zu der geäußerten Überlastung steht. Nur bei einer der vier Interviewpartnerinnen ging das größere Pensum an Reproduktionsarbeit nicht mit Überforderung einher.
„aber es ist einfach furchtbar anstrengend, vor allem weil man halt niiie störungsfrei arbeitet und weil man immer im Hinterkopf hat eigentlich müsste ich jetzt nach den Kindern schauen, eigentlich müsste ich jetzt aber ans Telefon gehen” (Lavanya, 36, Industriekauffrau, 2 Kinder)
Schlussendlich zeigt sich, dass die Herausforderungen des Alltags im Home-Office während des Lockdowns abhängig von den vorhandenen Ressourcen unterschiedlich groß ausfallen und verschiedene Lösungsstrategien erzeugen. Die Einschränkung von Mobilität macht Ungleichheiten deutlich. Familien mit geringeren räumlichen Ressourcen, ebenso wie Familien, die stärker an Erwerbsarbeitszeiten gebunden sind, stoßen durch fehlende Ausweichmöglichkeiten und weniger Flexibilität mit erhöhtem Risiko an die Grenzen ihrer Kapazitäten.
Insgesamt lässt sich anhand der durchgeführten Interviews der Trend erkennen, dass sich die befragten Mütter tendenziell verstärkt in der Verantwortung sehen, die anfallende Reproduktionsarbeit innerhalb ihrer familiären Strukturen zu übernehmen. Auffällig ist dabei nicht zuletzt, dass sich auf unser veröffentlichtes Forschungsinteresse ausschließlich Mütter gemeldet haben.
Isabella Kaul, Miriam Pospiech, Carolin Engelhardt & Aline Lupa