Wie wählen? – Ein Briefwechsel zur Bundestagswahl 2021 (2/3)

4. Brief

Maskendeals, Cum Ex-Affären, der Wirecard-Skandal – Politik macht wo wenig Lust wie selten zuvor und auch der Bundestagswahlkampf verläuft schleppend. Dass die Motivation wählen zu gehen da gering ist, überrascht wenig. Doch nach wie vor gilt: „Wählen ist wie Zähneputzen – wenn man es nicht macht, wird’s braun.“ Denn wer nicht wählen geht, gibt rechten und dieses Mal auch vermehrt schwurblerischen Kräften einen größeren Hebel. Damit ist ein Teil der Frage „Wie wählen?“ beantwortet – nämlich, dass man überhaupt wählen geht. Bleibt nur noch die bedeutend schwierigere Frage, beim wem man das Kreuz setzt. Klar ist, dass man eine Wahlentscheidung nur überlegt treffen sollte. Gleichzeitig kann es aber auch keine Lösung sein, hunderte Seiten Wahlprogramme und Interviews zu wälzen. Was für Möglichkeiten gibt es also, sich den Entscheidungsprozess zu vereinfachen und nach welchen Kriterien kann man seine Wahlentscheidung richten? Im Folgenden möchte ich zeigen, wie ich diese Fragen beantworte – in der Hoffnung, dass es dem oder der einen oder anderen die Entscheidungsfindung erleichtert. Links zu allen erwähnten Ressourcen finden sich in den Quellen. 

Gerade zu Beginn der Recherche ist man leicht überwältigt. Deshalb habe ich meine Parteirecherche auf ein paar wenige Themen reduziert, die mir am wichtigsten sind. Von Familien- über Klima- oder Asylpolitik kann im ersten Schritt alles dabei sein. Für viele Themen lassen sich im Internet gut zusammengefasste Wahlprogrammchecks finden – in längerer Form bei Nachrichtenagenturen, gekürzt auf Social Media. Diese Auszüge und Zusammenfassungen haben mir als Startpunkt für vereinzelte weitere Recherche gedient. Auch Kandidierendenchecks können hier helfen, damit man die Menschen hinter den Parteien nicht aus den Augen verliert. So konnte ich mich auf eine überschaubare Anzahl an Parteien reduzieren, die meinen Vorstellungen entsprechen. 

Nun gilt es, diese Parteien näher zu betrachten. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist für mich ein erster wichtiger Punkt. Nicht im Sinne einer Regierungsteilnahme, sondern vielmehr, ob die Prozenthürde geknackt werden wird. Weiterhin muss ich auch an die Partei glauben können, zumindest zu einem gewissen Grad. Wer die FDP wählt, glaubt wohl eher an die unsichtbare Hand des Marktes als jemand, der Die Linke wählt. Die Frage ist also, ob ich mich mit den Ideologien, die hinter den Parteien stehen, anfreunden kann. Die nächste lautet: Traue ich den Parteien zu, dass sie das Versprochene auch umsetzen? Kann ich bspw. darauf vertrauen, dass Bündnis 90/Die Grünen in Koalitionsverhandlungen nicht einknicken? Oder darauf, dass die SPD keine weitere Große Koalition eingeht? Wie die Antworten dieser Fragen ausfallen, kann darüber entscheiden, ob man eine Partei trotz der größtmöglichen Übereinstimmung nicht wählt. Beim Wahlomat zur Abgeordnetenhauswahl habe ich bspw. große Übereinstimmungen mit Satire- oder Spaßparteien. Wegen meines mangelnden Vertrauens in deren Ernsthaftigkeit (und der Prozenthürde) bekommen sie meine Stimme trotzdem nicht. Ein letztes Kriterium ist für mich, wie meine Wahlentscheidung andere gesellschaftliche Gruppen tangiert. Da es unmöglich ist, die beste Entscheidung für kommende Generationen, Minderheiten oder allgemein Menschen, die weniger privilegiert sind als man selbst, zu treffen, ist das mehr ein symbolischer Akt. Dennoch finde ich es wichtig, darüber nachzudenken, inwiefern die eigenen Entscheidungen die Realitäten von anderen Menschen betreffen.

Gerade weil diese Menschen in letzter Zeit zu kurz kommen und Deutschland vor dem größten politischen Wechsel seit 16 Jahren steht, ist es also wichtiger denn je, Verantwortung zu übernehmen, sich zu informieren und wählen zu gehen. 

Luna Schlender

Quellen

Wahlprogrammchecks: 

https://www.tagesschau.de/inland/btw21/programmvergleich-start-107.html https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/wahlprogramme/wahlprogramm-checks-index-parteien-berlin.html https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/bundestagswahl/wahlprogramm-parteien-vergleich-100.html
… und viele mehr. 

Kandidierendenchecks: 

https://www.kandidierendencheck.de/ https://www.ndr.de/nachrichten/kandidatencheck/Bundestagswahl-2021-Der-NDR-Kandidatinnen-Check-,kandidatencheck194.html 
https://www1.wdr.de/kandidatencheck/2021/wdr-bundestagswahl/index.html https://kandidatencheck.mdr.de/bundestagswahl_sachsen_2021/
… und viele mehr. 

Andere Ressourcen: 

https://www.wahl-o-mat.de/ 
https://wahl-kompass.de/de/
https://www.abgeordnetenwatch.de/bundestag
 … und viele mehr.

Photo by Claudio Schwarz on Unsplash

 

5. Brief

Und einmal in vier Jahren

Kriegt man einen Zettel in die Hand

Dann sollen wir ein kleines Kreuz malen

Damit alles seine Ordnung hat

‚Einmal in vier Jahren‘ – Die Toten Hosen

(Freie) Wahlen gelten als eine wesentliche Grundsäule demokratischer Gesellschaftsordnungen, bei der eine wahlberechtigte Bevölkerung ihre Stimmen abgegeben kann, um ihre Interessensvertretung zu wählen und zu legitimieren. Die Wahl als Akt der Machtübertragung des Volkes auf einzelne Vertreter:innen. An sich eigentlich eine sehr schöne Idee. Allerdings scheint es bei der Ausübung der Interessensvertretung hin und wieder unterschiedliche Vorstellungen darüber zu geben, wie diese nun genau operational ausgeführt werden soll bzw. nach welchen Kriterien nun überhaupt entschieden werden, welche Interessen jetzt wirklich von Interesse sind. Hier und da gibt es Mutmaßungen wie eine derartige Priorisierung wohl stattfinden könnte. Verantwortung wiegt bekanntlich schwer und soll sich natürlich auszahlen. Wir haben nun alle vier Jahre die Qual der Wahl und sollen darüber entscheiden, wer unser Interesse am besten (nicht) vertritt. Wer soll es richten, über wen wollen wir uns die nächsten Jahre so richtig auslassen können, wer darf das Ventil für all unseren Frust sein? Schwierige Frage. Gerade, wenn eine so bedeutsame Wahl wie die Bundestagswahl 2021 ansteht – ‚Das Ende der Ära Merkel‘, ‚Schicksalswahl‘ oder ‚Zeitenwende‘. Wow, dass baut Druck auf und macht es nicht einfacher. Am besten schon mal vorher verschiedene Mental-Coach Kurse absolvieren, dass im entscheidenden Moment die Handkraft nicht versagt oder der totale Blackout eintritt. Hier geht es schließlich nicht um ein Like oder Abo auf einem Instagramkanal, den man beliebig wieder zurücknehmen kann. Hier geht’s um… (um was eigentlich nochmal?)…ach ja, hier geht es um was – auch immer. Nicht falsch verstehen, ich persönlich bin bisher zu jeder Wahl gegangen. Meistens hat mir halt die Mental-Power gefehlt und ich bin im Augenblick der Entscheidung vor Nervosität mit dem Stift über den gesamten Wahlzettel gerutscht. Zum Glück klappt man die wieder zusammen und wirft sie anonym in eine Tonne. Wiegt der Faux Pax zum Glück nicht ganz so schwer. Ich habe aber an meiner Schwäche gearbeitet und seit der Bundestagswahl 2017 hat meine Linke die Rechte fest im Griff, dass diese nicht die Oberhand gewinnt. Aber was nun wählen? Das kleinere Übel? Wäre ein Ansatz. Ungültig machen? Zeigt grundsätzliches Interesse an der demokratischen Mitbestimmung, bei gleichzeitiger Unzufriedenheit mit dem politischen Angebot. Charmant. Erst gar nicht zur Wahl gehen? Denk nochmal darüber nach. Ernsthaft! Die beste Wahl die man im Sinne seiner Interessen treffen kann, ist sich mit gleichinteressierten zusammenzuschließen, auf die Straße zu gehen oder zu setzen, in eine Kohlegrube spazieren, andere Leute unterstützen oder ein Kreuz für ein Volksentscheid machen, was die Interessenvertretung so richtig ins schwitzen bringen wird und auch noch mein Interesse vertritt. Jackpott.

Steffen Hagemann

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