Es war mit Sicherheit für die wenigsten Menschen auf der Welt ein leichter Winter.
Die Inzidenzen schienen sich zeitweise ein Wettrennen zu liefern. Erst fehlte es an Tests, dann an Impfdosen, dann an Impfterminen. Kinder wurden zwischen dem Wechselunterricht und dem Homeschooling hin und her geschoben. Und keiner konnte so wirklich sagen, wie lange das alles noch durchzuhalten sei. Aber dann kam, zuverlässig und sicher wie eh und je, wenn auch zugegebenermaßen ein wenig spät, der Frühling, lies die Inzidenz sinken und die Impfrate steigen. Cafés und Gärten standen wieder offen und ein leiser Optimismus stimmte auf den Sommer ein. Wir haben im Mai die drei RentnerInnen aus unserem ersten Beitrag wiedergetroffen und mit ihnen über vieles gesprochen: den vergangenen Winter, die Rente, die Pläne für den Sommer und das Ende der Pandemie.
Monika, Doris* und Ralf*. Alle drei hatten kurz vor oder während der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 ihre Rente angetreten. Ihre privaten Umbrüche fielen mit gesellschaftlichen zusammen und so mussten sie sich nun in zweifacher Hinsicht neu in ihren Leben einrichten. Das letzte Mal hatten wir mit ihnen im vergangenen Herbst kurz vor Weihnachten gesprochen und viel Optimismus und Verständnis erlebt. Als wir sie nun nacheinander wiedertreffen sind es vor allen Dingen die nachdenklichen Töne, die immer wieder herausstechen. Die Wintermonate haben viel abverlangt und zugleich gab es viel, was man lernen konnte über sich selbst, aber auch über andere.

Ralf, dessen Dorfgemeinschaft bereits im Oktober alle großen und kleinen weihnachtlichen Traditionen hatte absagen müssen, berichtet uns von Spaziergängen durch den festlich geschmückten Ort und Treffen mit den Kindern und Enkelkindern draußen im Wald und auf dem Spielplatz. Man könne froh sein, erklärt er, wenn man nicht allein wohne und die Familie sich im gleichen Ort befinde und vor allem, wenn man einen Garten habe, in dem man sich auch bei Kälte treffen kann. Ralf erzählt von der Initiative Einzelner im Dorf, Alleinstehende aufzusuchen und mit ihnen wenigstens durch ein geöffnetes Fenster oder an der Haustür zu reden. Aber dennoch muss die Isolation und Einsamkeit dort noch einmal schwerer wiegen.
Monika kann das nur bestätigen. Durch ihre Angst vor einer möglichen Ansteckung hatte sie im Winter teilweise über mehrere Tage hinweg keinen einzigen Menschen gesehen. Die Isolation, von der sie bereits im Herbst berichtete, hatte sich durch das kalte und dunkle Wetter nur verstärkt. Die Spaziergänge mit anderen fielen weg und an Weihnachten, was sie eigentlich mit ihrer Familie an der Feuerschale im Garten hatte genießen wollen, verkürzte sich das Fest regenbedingt auf wenige Minuten. Corona bleibt allgegenwärtig. Nach Silvester grenzt Monika ihren Nachrichtenkonsum radikal ein, liest nur noch vereinzelt Artikel online, aber das Radio und vor allem das Fernsehen schweigen. Das habe sie zwischenzeitig nicht mehr aushalten können – Die ständig wechselnden Richtlinien, die Probleme mit der Impfstoffbeschaffung und der Verteilung. In solch unfreiwilliger Isolation sei es schwer an etwas anderes zu denken als die Nachrichten und natürlich die eigenen Ängste, die in den langen Stunden immer wieder hochkommen.
Das berichtet auch Doris. Aufgrund von Knieproblemen musste sie fast den ganzen Winter über in der Wohnung bleiben und war nur sehr eingeschränkt mobil. Die Spaziergänge mit Freunden fielen da weg. Ständig drehten sich da die Gedanken im Kreis, ständig würde man sich wieder und wieder mit sich selbst beschäftigen müssen. Das raubt Kraft und Konzentration. Irgendwann ist auch das letzte Hobby zur Perfektion vollendet und die sozialen Kontakte fehlen umso deutlicher, besonders da, wo die Abstände die Freundschaften sowieso schon belasteten. Der Konsum könne die Einschränkungen nicht ausgleichen, sagt Doris. Es fehlt an Spontanität. Die wenigen Dinge, die man tun könne und die wenigen Momente, die man mit anderen hat, müssen vorher geplant werden. Zusätzlich wird die Distanz zu Freunden und Bekannten mit dem täglichen Zusammensein mit dem Partner kontrastiert. Mit wenig zu tun und viel Zeit, um nachzudenken und zu diskutieren, werde es schnell zu eng. Eine Herausforderung für alle.
Ralf muss kurz nach dem Jahreswechsel ins Krankenhaus, allerdings unabhängig von Corona. Besuchen durfte ihn dort situationsbedingt niemand. Doch Ralf hat sozusagen Glück im Unglück: Seine Tochter arbeitet als Krankenpflegerin und so sieht er immer wieder ein ihm vertrautes Gesicht um Mut und Kraft zu schöpfen. Auch die Technik sei ihm in diesen Moment sehr zu Diensten gewesen, wie überhaupt im ganzen Lockdown. So könne man immer wieder auch die weiter entfernt lebenden Enkel sehen und mit den Kindern reden. Anschließend geht es für ihn in eine Rehaeinrichtung. In einer Zeit, in der die meisten zu Hause festsaßen, sah er die eigenen vier Wände so mehrere Wochen gar nicht. Der Sport in der Reha aber habe aber sehr gutgetan. Gerade, da anderenorts alle Fitness Studios geschlossen hatten und die Sportgruppen sich auch nicht treffen konnten.
Immer wieder geht es in den Gesprächen um die Rente und das Alter. Alle sind froh, dass sie nicht mehr arbeiten müssten. Die sozialen Kontakte fehlen, ja. Als RentnerIn habe man eh weniger davon, sagt Doris. Die Arbeit integriert da ein Stück weit. Aber jetzt, unter diesen Bedingungen, kann man sie nur schwer vermissen. Monika bekommt durch ihre Kontakte zu ehemaligen KollegInnen an der Schule, an der sie jahrlange unterrichtet hatte, ebenso wie durch die eigenen Enkelkinder mit, wie sehr die Zeit an den SchülerInnen zerrt, wie viel die Kinder wegstecken müssen. Nun fehlen ihr zwar die Struktur und die Pläne, gerade in einer Zeit, in der nichts zu planen sei. Aber diese Arbeit hätte sie nicht leisten können, schon gar nicht mit den SchülerInnen an der Förderschule, an der sie tätig gewesen war, und für die der Kontakt zu anderen so besonders wichtig ist. Es mache sie wütend, dass die Verantwortlichen in den Regierungen keine Konzepte entwickelt hätten, dass die LehrerInnen der Überforderung preisgegeben wurden, dass Kinder so leiden müssen.
Momentan könne man die Rente aber nur wenig genießen, sagt Doris. Die Lebenszeit, die beim Warten auf das Ende der Krise verstreicht, erhält man hinterher nicht wieder zurück. Bei allen verschobenen Reisen und abgeänderten Plänen bleibt immer die Ungewissheit, ob man, wenn man wieder all die Dinge tun kann, die man sich vorgenommen hatte, dann noch dazu in der Lage sein wird, ob der Körper das dann noch durchhält. Auch Monika spricht von dem Gefühl, die Zeit laufe ihr ein Stückchen davon. Man hatte andere Vorstellungen von diesem Lebensabschnitt und auch wenn natürlich niemand dafür etwas kann, ist es doch ernüchternd zu sehen, dass statt neuer Freiheiten erst einmal das Abwarten im Vordergrund steht. Vielleicht hätten sich solche Erkenntnisse mit der Zeit auch unter anderen Umständen eingestellt. Immerhin ist der Umstieg von einem durchstrukturierten Arbeitsleben in die Rentenzeit immer mit Neuorientierung und Überraschungen verbunden. Die Pandemie scheint aber in dieser Hinsicht wie ein Zeitraffer zu wirken.

Für den Sommer waren sie jedoch alle guter Dinge. Alle drei sind geimpft. Man kann wieder Dinge im Garten machen, sich mehr bewegen, andere Eindrücke sammeln. Die langen Tage und die Sonne entschädigen ein wenig für die harten Stunden. Die Geschäfte und Restaurants werden wieder zugänglich sein. Doris spricht von der Notwendigkeit endlich wieder andere Gesichter und andere Orte sehen zu müssen. Sie will mit ihrem Mann verreisen und wird etwas im örtlichen Reisebüro buchen. Monika schätzt die Lage noch zu heikel ein, um zu verreisen. Und auch Ralf und seine Frau haben ihre Reisepläne noch weiter verschoben. Vielleicht ist ein Kurzurlaub drin, vielleicht aber auch erst nächstes Jahr oder das darauf. Vorerst muss der Garten herhalten. Aber gerade mit Blick auf den nächsten Winter sei es wichtig, den Sommer zu nutzen. Man weiß nicht, was noch auf einen zukommt.
Ralf stört sich vor allen Dingen an der immer wiederkehrenden Debatte um Erleichterungen für Geimpfte als sehr problematisch. Eine mögliche Trennung zwischen Geimpften und Ungeimpften sei ein Ausspielen verschiedener Gruppen gegeneinander. Besonders, da es wieder die Kinder und Jugendlichen wären, die darunter leiden müssten. Es könne nicht um ein Recht auf Reisen gehen. Die Impfung habe vor allem dann einen Sinn, wenn sie die überlasteten Krankenhäuser und Testzentren entlaste und die Großeltern beispielsweise wieder die Enkelkinder beaufsichtigen könnten
Bei der Frage nach dem Ende der Pandemie werden die RentnerInnen nachdenklich. Dass es noch ein Jahr dauern wird, wenn nicht sogar zwei, scheint sicher zu sein. Doch auch dann werden sicherlich einige Gepflogenheiten bleiben. Das Tragen der Maske währen Grippewellen etwa oder auch der etwas größere Abstand, den man einander gewährt. Doris spekuliert, dass es am Anfang sicherlich bei vielen zu einer Art Übersprungshandlung kommen wird, wenn alle neuen und alten Freiheiten auf einmal ausgelebt werden müssen. Ob das aber langfristig glücklich machen wird, bezweifelt sie. Wenn es bis zum nächsten Sommer sich nicht ein wenig normalisiere, müsse man sich auf jeden Fall etwas anderes einfallen lassen, meint auch Ralf. Der dauernde Schulausfall und die beständige Isolation seien keine Lösung.
Vielleicht wird man sich neue Gewohnheiten überlegen müssen.
Wenn man sich nicht mehr die Hand geben kann, dann müssen eben andere Begrüßungen her. Wenn die EnkelInnen nicht regelmäßig die Schulen besuchen können, muss die Digitalisierung in den Schulen beschleunigt werden. Wenn Schwimmhallen und Saunen geschlossen bleiben, müssen die Outdoor-Sportangebote oder Rentner/Reha-Kurse ausgeweitet werden. Das soziale Miteinander kann nicht ausgesperrt werden, nur weil man drinnen den Abstand nicht wahren kann. “Not macht erfinderisch” und wir müssen selbst Wege finden, dass es wieder ein Miteinander gibt.
Annett Wadewitz & Claudia Buder
*Namen teilweise von der Redaktion geändert.