Frauen mit Bärten

Wenige Körpermerkmale sind so eng und doch so subtil mit den vorherrschenden westlichen, binär gedachten Schönheitsidealen verwoben wie Körperbehaarung. Zunächst das Bild des idealen Mannes samt Bart und kurzen Haaren, schließlich das Bild der Frau, oft auch unter „Barbie – Doll – Image“ bekannt: Langes Haar, und ansonsten vor allem eines: Haarfrei. Frauen mit Achsel-oder Beinbehaarung werden sowohl von anderen Frauen als auch von Männern als weniger weiblich und attraktiv, gar als weniger intelligent wahrgenommen [1], [2].

Verschiedene Studien zeigen, dass nahezu alle Assoziationen mit dem Bild einer haarfreien Frau negativ behaftet sind – und dass die haarfreie Frau hingegen als attraktiv, rein und weiblich gilt [1]. Soziologische Erklärungen diesbezüglich zielen darauf ab, dass die historisch gewachsenen Schönheitsideale als soziale Norm zu verstehen sind. Die Allgemeingültigkeit und auch Selbstverständlichkeit, mit der diese Norm einhergeht, wird durch eine Studie verdeutlicht, in der 98 % aller Teilnehmerinnen berichten, zumindest an einem Zeitpunkt in Ihrem Leben sich regelmäßig die Bein- und/oder Achselhaare entfernt zu haben [2]. Um als attraktiv oder „geschlechtsgemäß“ zu wirken, darf nicht von dieser Norm abgewichen werden. Falls dies geschieht, können soziale Sanktionen drohen – dies kann sich in Form von Kritik, Kommentaren oder Witzen, aber auch in einem starren Blick oder einem subtilen Kopfschütteln äußern [3], [4].


Was jedoch, wenn Personen nicht bloß diesem gewissen Schönheitsideal nicht bloß nicht entsprechen, sondern gar jene Merkmale besitzen, die als distinkt für das andere Geschlecht gelten? Der Bart ist eines der Symbole für Männlichkeit schlechthin. Oft eng verwoben mit Religion, steht der Bart im historischen Verlauf nicht nur für die optische Trennung der Geschlechter, sondern auch unmissverständlich für Männlichkeit und den Übergang vom Jungen zum Mann [5].


Wenn nun bereits Achsel-und Beinbehaarung eine derart negative Reaktion gegenüber Frauen hervorrufen, wie ergeht es wohl Frauen, die einen Bart tragen? Für viele Frauen, die an PCOS erkrankt sind, ist dies eine alltägliche Realität. Hirsutismus wird zwar nicht immer, jedoch in den meisten Fällen durch eine Hormonstörung, das polyzistische Ovarialsyndrom (PCOS), verursacht und bezeichnet die Präsenz von deutlich sichtbarer Körperbehaarung an Stellen, die typischerweise bei Männern durch Körperbehaarung gekennzeichnet sind – etwa das Gesicht oder die Brust [6].


Frauen mit ungewollter Gesichtsbehaarung verbringen 104 min pro Woche damit, sich diese Haare zu entfernen (Lipton et al 2006). Schlimmer als der zeitliche Aufwand sind jedoch die oft enorm belastenden psychologischen Folgen für die meisten Frauen. Viele Frauen fühlen sich in ihrem Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt und fühlen sich selbst nicht weiblich oder in sozialen Situationen unwohl. Außerdem leiden Frauen mit Hirsutismus überproportional häufig an Depressionen oder Angststörungen – die Prävalenz sowohl von Depressionen als auch sozialen Ängsten ist unter Frauen mit Hirsutismus höher als etwa bei Frauen mit Brustkrebs [6], [7] [8].


Hirsutismus ist nicht extrem ungewöhnlich – Schätzungen zufolge sind etwa 4-11 % aller Frauen daran erkrankt [9]. Viele dieser Frauen leben in einem ständigen Teufelskreis von geringen Selbstwerts – und Schönheitsgefühl und ständiger Haarentfernung – ausgehend von gesellschaftlichen Normen, Idealen, Vorstellungen und Anforderungen, was es heißt „schön“ und „weiblich“ zu sein. Auch abgesehen von dem deutlich dichteren Bartwuchs als Folge von Hirsutismus bzw. PCOS kämpfen viele Frauen mit ihrer Gesichtsbehaarung. Die „natürliche“ äußerliche Abgrenzung von Weiblichkeit und Männlichkeit ist tatsächlich sehr viel geringer, als soziale Normen dies festlegen. Dennoch sind über Jahrhunderte gefestigte weibliche Schönheitsideale so stark und verinnerlicht, dass die meisten Frauen stets ihre Gesichtsbehaarung entfernen. Der „Damenbart“ steht nach vorherrschenden, westlichen Beauty- Standards somit noch deutlicher als etwa Achsel- oder Beinbehaarung für Nicht-Weiblichkeit [10].


Dies ist bei weitem kein neues Phänomen: Auch im historischen Kontext wurde Frauen mit Hirsutismus bzw. Gesichtsbehaarung oft viel Aufmerksamkeit zutage. Dies beschränkte sich zumeist darauf, jene Frauen als Monster, Abarten, Missbildungen oder Hexen darzustellen. Im Falle von Hexen ging man davon aus, dass der Bart Ursprung einer geheimnisvollen Kraft war, die die männliche Dominanz bedrohte – und nur durch das Rasieren zu durchbrechen war [5]. Im 19. Jahrhundert wurden Frauen mit Bart wie etwa die „Bearded Lady“ Josephine Clofullia als Attraktionen im Zirkus oder in „Freak Shows“ präsentiert. In diesen wurden sie zumeist als „Missgebildete“ oder „Abnormale“ dargestellt [11]. Frauen mit Bart waren ebenso wie die anderen Attraktionen in „Freak Shows“ ein Objekt der Unterhaltung, das bei dem Publikum Reaktionen von irgendwo zwischen Ekel und Belustigung bis hin zu Erstaunen hervorrufen sollte – und das zumeist auch tat. In manchen Fällen war der von den Veranstaltern erhoffte „Schockfaktor“ der als solchen angekündigten „Abarten“ dann aber doch geringer als von Veranstaltern erwartet. So waren die Reaktionen zumindest auf Josephine Clofullia überwiegend positiv und bewundernd als abwertend – einige Zeitungen stellten gar ihre Weiblichkeit heraus und bewunderten ihre Eleganz. Letztlich wurde sie vom größten Teil des Publikums lediglich als Frau mit Bart wahrgenommen – nicht mehr, nicht weniger [12].


Einige Jahrhunderte zuvor verewigten bereits einige Künstler Frauen mit Hirsutismus auf ihren Leinwänden, allen voran ist hier wohl der spanische Maler Jusepe de Ribera zu nennen. Sein Gemälde „Magdalena Ventura mit ihrem Mann und Sohn“ lies bereits 1631 die Grenzen von Männlichkeit und Weiblichkeit verschwimmen. So ist Magdalenas Bart einerseits deutlich dichter als der stark getrimmte Bart ihres Mannes, ihre entblößte Brust zum Stillen ihres Kinders betont jedoch unmissverständlich ihre Weiblichkeit.

Magdalena Ventura mit Mann und Kind
Quelle: [13]

Auch in der Literatur gibt es schon im Mittelalter Berührungspunkte mit dem Thema Hirsutismus, etwa in Don Quixote. Autor Miguel de Cervantes präsentiert hier die Figur der Condesa Trifaldi, vermeintlich eine Frau mit Bart, bevor sich herausstellt, dass es sich tatsächlich um einen Mann in „Cross-Dressing“ handelt. Vor dieser Enthüllung werden jedoch die Implikationen eines Bartes für eine Frau herausgestellt, die in Folge der heteronormativen Erwartungen an sie isoliert von Freunden und Familien, geschweige denn Liebhabern, lebt. De Cervantes beschreibt weiter die Mühen und Anstrengungen verbunden mit den Anforderungen an Frauen, einem „weiblichen“ Schönheitsbild gerecht zu werden. Gleichzeitig lässt das Kapitel Interpretationsspielraum bezüglich einer möglichen Normalisierung von Gesichtsbehaarung bei Frauen, dabei handele es sich zwar um eine Unerwünschtheit, die andererseits aber ebenso natürlich wie normal ist – konträr zu einem Schönheitsbild, das (damals wie heute) von Frauen „erwartet“, mithilfe von Haarentfernung reiner und weiblicher Schönheit gerecht zu werden [14].


Im 20. Jahrhundert schließlich kommt Frida Kahlo als Symbol der Body Positivity mit charakteristischem Schnurrbart eine zentrale Rolle bei der Infragestellung von geschlechterspezifischen Schönheitsidealen zu. Wie tiefgreifend gesellschaftliche Normen und Vorstellungen von Schönheit sind, zeigt sich gerade an ihrem Beispiel sehr deutlich. So wurde ihr Schnurrbart zensiert, als sie auf der Titelseite des Vogue Magazins abgebildet war. Für das Vogue Magazin, dessen Inhalte maßgeblich auf der Schönheit von Personen aufbauen, war das offensichtliche Brechen mit Normen bezüglich weiblicher Schönheit wohl zu explosiv [15].


Beispielhaft für langsam verschwimmende Grenzen von Weiblichkeit und Männlichkeit steht heute Harnaam Kaur, die den Guinness World Record für „Jüngste Frau mit Vollbart“ hält. In Folge ihrer PCOS-Erkrankung trägt die heute 31-Jährige seit ihrer Jugend ebenjenen Bart. Nach Jahren des Mobbings, der Scham und einem zerstörten Selbstbewusstsein, allesamt Erlebnisse, die sie beinahe in den Suizid trieben, entschied sie sich, nicht mehr alle zwei Tage ihre Barthaare entfernen zu lassen. Stattdessen begann sie, ihren Bart wachsen zu lassen; heute ist sie Body–Positivity- Aktivistin und Influencerin mit beinahe 170.000 Followern auf Instagram. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Geschlechterstereotype aufzubrechen; am besten zusammengefasst wohl durch ihre eigenen Worte: „Die Art wie Leute auf mich reagieren, ist sehr lustig. Sie schauen zuerst auf meine Augen, dann auf meinen Bart und dann auf meine Brüste“ [16].


Historische Beispiele, aber auch wissenschaftliche Studien zeigen, in welch engem Griff Geschlechternormen und Körperbehaarung das Wohlbefinden und Selbstbestimmtheit von Frauen mit normabweichender Behaarung haben können. Das Thema der Gesichtsbehaarung hat darüber hinaus nicht nur für Frauen eine große Relevanz, sondern auch in besonderem Maße für Transmenschen, die sich nicht in binäre Geschlechter einordnen. Gleichzeitig zeigen Beispiele wie Frida Kahlo und Harnaam Kaur eindrucksvoll, wie Frauen selbstbewusst gesellschaftliche, binär gedachte Normen und Anforderungen überwinden können. Dennoch scheint noch ein weiter Weg zu gehen zu sein, bis Frauen im gleichen Maße wie Männer frei über ihre Gesichtsbehaarung verfügen können. Um das ganze umzudrehen: Wer würde schon einen Mann dafür kritisieren, sich zu rasieren?

MK

Quellen

[1] S. A. Basow und A. C. Braman, „Women and Body Hair: Social Perceptions and Attitudes“, Psychol. Women Q., Bd. 22, Nr. 4, S. 637–645, Dez. 1998, doi: 10.1111/j.1471-6402.1998.tb00182.x.

[2] M. Tiggemann und C. Lewis, „Attitudes Toward Women’s Body Hair: Relationship with Disgust Sensitivity“, Psychol. Women Q., Bd. 28, Nr. 4, S. 381–387, Dez. 2004, doi: 10.1111/j.1471-6402.2004.00155.x.

[3] M. Toerien und S. Wilkinson, „Gender and body hair: constructing the feminine woman“, Womens Stud. Int. Forum, Bd. 26, Nr. 4, S. 333–344, Juli 2003, doi: 10.1016/S0277-5395(03)00078-5.

[4] M. Toerien und S. Wilkinson, „Exploring the depilation norm: a qualitative questionnaire study of women’s body hair removal“, Qual. Res. Psychol., Bd. 1, Nr. 1, S. 69–92, Jan. 2004, doi: 10.1191/1478088704qp006oa.

[5] M. van den Berg, „‚I Hid Not My Face‘: An Essay on Women, their Beards, and the Promise of Isaiah 50:6“, J. Eur. Soc. Women Theol. Res., Bd. 26, S. 67–80, 2018.

[6] M. G. Lipton, L. Sherr, J. Elford, M. H. A. Rustin, und W. J. Clayton, „Women living with facial hair: the psychological and behavioral burden“, J. Psychosom. Res., Bd. 61, Nr. 2, S. 161–168, Aug. 2006, doi: 10.1016/j.jpsychores.2006.01.016.

[7] M. Ekbäck, K. Wijma, und E. Benzein, „“It Is Always on My Mind”: Women’s Experiences of Their Bodies When Living With Hirsutism“, Health Care Women Int., Bd. 30, Nr. 5, S. 358–372, Apr. 2009, doi: 10.1080/07399330902785133.

[8] S. Benson u. a., „Prevalence and implications of anxiety in polycystic ovary syndrome: results of an internet-based survey in Germany“, Hum. Reprod., Bd. 24, Nr. 6, S. 1446–1451, Juni 2009, doi: 10.1093/humrep/dep031.

[9] P. Spritzer, C. Barone, und F. Oliveira, „Hirsutism in Polycystic Ovary Syndrome: Pathophysiology and Management“, Curr. Pharm. Des., Bd. 22, Nr. 36, S. 5603–5613, Nov. 2016, doi: 10.2174/1381612822666160720151243.

[10] M. Chalabi, „Female facial hair: if so many women have it, why are we so deeply

ashamed?“, The Guardian, 2017. [Online]. Verfügbar unter: https://www.theguardian.com/fashion/2017/nov/30/female-facial-hair-if-so-many-women-have-it-why-are-we-so-deeply-ashamed

[11] A. Grabenhorst, „Vergöttert und vorgeführt: Die Kulturgeschichte bärtiger Frauen“, Vice, 2016. [Online]. Verfügbar unter: https://www.vice.com/de/article/evgqxj/vergoettert-und-vorgefuehrt-die-kulturgeschichte-baertiger-frauen

[12] S. Trainor, „Lessons of the Bearded Lady“, The Atlantic, 2015. [Online]. Verfügbar unter: https://www.theatlantic.com/national/archive/2015/12/lessons-of-the-bearded-lady/418038/

[13] J. de Ribera, Magdalena Ventura with her Husband and Son. 1631. [Online]. Verfügbar unter: https://www.artble.com/artists/jusepe_de_ribera/paintings/the_bearded_woman

[14] S. Velasco, „The Dueña Dolorida: Policing Gender, Desire, and Entertainment“, Hisp. Rev., Bd. 77, Nr. 2, S. 221–244, 2009.

[15] „The Moustache that Went Missing – The Censorship of Frida Kahlo’s Facial Hair“, The Golovine, 2019. https://thegolovine.wordpress.com/2019/04/11/the-moustache-that-went-missing-the-censorship-of-frida-kahlos-facial-hair/

[16] H. Khaleeli, „The lady with a beard: ‘If you’ve got it, rock it!’“, The Guardian, 2016. [Online]. Verfügbar unter: https://www.theguardian.com/fashion/2016/sep/13/lady-with-a-beard-if-youve-got-it-rock-it-guinness-world-records#comments

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