Der Einfluss von Algorithmen auf unsere Alltagsrealität. Das Beispiel der Wertungszahlberechnung im Schachsport

Algorithmen begegnen uns inzwischen in allen Lebensbereichen (siehe Deutschlandfunk). Gleichzeitig scheint sich die gesamtgesellschaftliche Skepsis gegenüber Algorithmen von Tag zu Tag zu intensivieren (siehe WDRTagesspiegel). Vor diesem Hintergrund habe ich mich gefragt, welche Berührungspunkte ich selbst mit Algorithmen habe und in welcher Form diese meine Realität tatsächlich beeinflussen und vielleicht sogar nachhaltig verändern.Als passionierter Schachspieler mit über 10 Jahren Spielpraxis im aktiven Vereinssport wurde mir, wie den meisten anderen aktiven Spielern auch, eine Wertungszahl zugeordnet. Diese Wertungszahl (DWZ = Deutsche Wertungszahl) repräsentiert die ungefähre Spielstärke des einzelnen Sportlers und schafft dadurch eine bessere Vergleichbarkeit, die beispielsweise bei der Einteilung der vereinsinternen Mannschaften hilfreich ist. Diese Wertungszahl beruht auf einem Algorithmus. Doch wie funktioniert dieser Algorithmus, wie transparent ist dessen Wirkmechanismus und inwieweit tangiert die daraus resultierende Wertungszahl tatsächlich meine Möglichkeiten als Schachspieler?

Einleitend muss hier erwähnt werden, dass die Wertungszahlen im deutschen Schachsport in DWZ und ELO eingeteilt sind. Eine DWZ erhalten im Regelfall alle Vereinsspieler, die sich in den verschiedenen Ligen und Turnieren mit anderen Vereinsspielern messen. Dabei ist entscheidend, dass man gegen Spieler gewinnt die bereits eine DWZ haben. Eine ELO-Zahl erhält man hingegen nur, wenn man sich an Turnieren beteiligt, an denen auch Spieler teilnehmen, die bereits eine ELO-Zahl haben und die Turnierordnung es vorsieht, dass die ELO auch verrechnet wird (meistens internationale Turniere). Bei internationalen Turnieren ist das allgemeine Spielerniveau allerdings deutlich höher. Ergo, ist es auch erheblich schwieriger eine ELO Wertung zu erhalten, weil man auch hier nur dann eine Wertungszahl bzw. eine höhere Wertungszahl erhält, wenn man gewinnt. Ich selbst habe bis dato „nur“ eine DWZ, da ich nie an internationalen Turnieren teilgenommen habe, aber auch weil die dortige Spielerstärke deutlich über der meinen liegt.

Antworten auf meine Fragen bezüglich der Transparenz und des Wirkungsmechanismus des besagten Algorithmus, finde ich auf der Seite des Deutschen Schachbundes (siehe DSB). Die Homepage des DSB bietet einen umfassenden Katalog an Informationen, der es nachvollziehbar macht, wie die DWZ-Werte aller dort gelisteten Schachspieler zustande kommen und auf welcher Basis sich diese dann auch weiterentwickeln. So wird berichtet, dass die DWZ ähnlich berechnet wird wie die ELO-Zahl, welche ihren Titel dem gleichnamigen Prof. Arpard Elo verdankt. Die jeweiligen mathematischen Vorgehensweisen sowie die zugrundeliegenden Datensätze, sind frei zugänglich (siehe DSB). Gleiches gilt für den Code der Computerprogramme, die diese Rechnungen ausführen. Sogar die Entwickler dieser Programme werden auf der Seite des DSB namentlich genannt.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Algorithmus, welcher der Skalierung der Spielstärken einzelner Schachsportler zu Grunde liegt, so transparent wie möglich ausgestaltet ist. Im Folgenden möchte ich auf meine persönlichen Erfahrungen mit der mir zugeordneten DWZ eingehen und dabei reflektieren, welche Auswirkungen die DWZ auf meine Alltagsrealität als Schachspieler hat.

Nach etwas Recherche in den besagten Datenbanken des DSB konnte ich feststellen, dass ich meine erste DWZ 2005 im Anschluss an ein vereinsinternes Turnier erhalten habe. An den genauen Moment kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß aber noch, dass es mir damals überaus wichtig war auch eine DWZ zu bekommen und dass ich mich sehr gefreut habe, als es endlich soweit war. Es lässt sich an der Stelle nicht leugnen, dass an die DWZ und die ELO Zahl ein gewisses Prestige gekoppelt ist. Hat man keine, dann will man eine. Hat man schließlich eine, dann will man, dass sie steigt. Das liegt aber nicht daran, dass man die Wertungspunkte in ihrer eigentlichen Form als wertvoll erachtet oder dass sie merkliche Vorteile schaffen, sondern daran, dass allgemein bekannt ist, dass sie die eigene Spielstärke wiederspiegeln und man als halbwegs ambitionierter Vereinsspieler auch daran interessiert ist, die eigene Spielstärke messbar zu steigern. Hat man es geschafft durch hartes Training und durch Zeitaufwand besser zu werden, dann ist man auch froh, wenn sich das quantifizieren lässt, sodass nicht nur die unmittelbaren Gegner merken wie stark man geworden ist, sondern auch andere Spieler, die durchaus hin und wieder einen Blick auf die Zahlen der Spieler in ihrem Umfeld werfen.

Abseits von positiven oder negativen Gefühlen die mit dem Steigen oder Sinken der DWZ einhergehen, gibt es noch eine weitere interessante Dynamik, die mir aufgefallen ist, als ich darüber nachgedacht habe, wie sich die DWZ auf meine Alltagsrealität als Schachspieler auswirkt. Es kommt beispielsweise häufig vor, dass man in Rahmen der Mannschaftsspiele oder auch in Turnieren gegen deutlich stärkere Spieler antreten muss. Stärke definiere ich hier über die Wertungszahl, da ich ja sonst keine Informationen über mein Gegenüber habe, zumindest, wenn ich ihn oder sie nicht persönlich kenne und mir auch keine seiner Spiele als Vorbereitung angesehenen habe. In solchen Situationen habe ich mich schon öfters dabei erwischt, dass ich das Spiel schon vor Beginn als verloren erachtet habe – einfach nur, weil der Unterschied in der Wertungszahl so erdrückend auf mich gewirkt hat. Ich denke, dass diese Dynamik bei einem Spiel wie Schach, welches überwiegend auf kognitiver Ebene entschieden wird, nicht zu vernachlässigen ist. Gleichzeitig muss auch erwähnt werden, dass das nur eine persönliche Wahrnehmung meinerseits ist und dass andere Spieler einen Gegner mit erheblich höherer DWZ oder ELO Wertung vielleicht sogar als spannende Herausforderung begreifen und daher noch motivierter ins Spiel starten.

In Bezug auf die Fragen, die ich in der Einleitung gestellt habe, lässt sich also sagen, dass die Algorithmen, die bei der Zuordnung der Wertungszahl im Schachsport Anwendung finden, so transparent wie möglich ausgestaltet sind. Nichts desto trotz musste ich mir eingestehen, dass die aus dem Algorithmus entstehende Wertungszahl auch etwas mit mir macht. In vielleicht spannende Spiele gegen sehr überlegene Gegner, bin ich voreingenommen gestartet und konnte so weder mein volles Potential noch das des Spieles selbst entfalten. Gleichzeitig bietet die Zuordnung einer Wertungszahl aber auch viele Vorteile. Sie macht es möglich Lernerfolge indirekt zu quantifizieren und man freut sich einfach, wenn die Zahl steigt. Des Weiteren vereinfacht die Wertungszahl, wie bereits erwähnt, die Zuordnungen der vereinsinternen Mannschaften. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen komme ich zu dem Schluss, dass die Verwendung von Algorithmen bei der Zuordnung von Wertungszahlen im Schachsport überwiegend gewinnbringend ist. Allerdings muss man sich auch kritisch mit der eigenen Wertungszahl und auch der der Gegner auseinandersetzen und sich klar machen, dass diese Zahl nicht der Wahrheit letzter Schluss ist (und man an einem guten Tag als 1.700er auch einen 2.100er besiegen kann.)

Lewin Fricke

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