Ein Zielkonflikt zwischen Klimapolitik und sozialer Verträglichkeit?
Die Klimakrise ist zuletzt wieder verstärkt in den Fokus der öffentlichen Debatte geraten. Neben kurz- und langfristigen Auswirkungen einer globalen Erwärmung auf unsere Umwelt, die natürlichen Ressourcen und Ökosystemleistungen, werden auch notwendige politische Maßnahmen thematisiert, um irreparable Schäden abzuwenden und eine umfassende sozioökonomische Transformation einzuleiten. In Deutschland gehört hierzu der Kohleausstieg 2038, die Förderung erneuerbarer Energieträger, die Besteuerung klimaschädlicher Produktions- und Konsumaktivitäten, sowie die Bindung der Wirtschaftsbereiche an bestimmte ökologische Standards.
Trotz des gebotenen Tatendranges darf die Sozialpolitik eines Landes nicht einfach hintenangestellt werden. Damit meinen wir eine Sozialpolitik, die dem einzelnen Gesellschaftsmitglied ein vereinbartes Maß an materieller Sicherheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben garantiert. Wird diese Garantie nun durch klimapolitische Maßnahmen gefährdet? Die “Gelbwestenbewegung” im Winter 2018 hat mehr als deutlich gemacht, dass eine unzureichende Berücksichtigung einkommensschwächerer Bevölkerungsteile nicht das Resultat von Klimapolitik sein sollte. Die zusätzliche Besteuerung von Energieträgern und der sowohl im Energie- als auch im Automobilsektor stattfindende “Strukturwandel” erfasst inzwischen auch mittlere Einkommensschichten. Der Kohleausstieg 2038 veranlasst Arbeiter:innen zu der Proklamation: “Wir leben von der Kohle und nicht von grünen Märchen”. Hier kommen die Zukunftsängste von Menschen zum Ausdruck, die sich in erheblichen Gefährdungslagen sehen – hervorgerufen durch klimapolitische Regulierung. Wie aber sehen diese Auswirkungen nun konkret aus?
Stolpersteine und Risiken klimapolitischer Maßnahmen
Betrachten wir zur Verdeutlichung einen CO2-Preis in Höhe von 35 Euro je Tonne CO2 in Deutschland. Dieser verteuert insbesondere fossile Energieträger und im Zuge dessen Produkte wie Benzin oder Gas. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung weist darauf hin, dass mit einer derartigen Steuer unvermeidlich Verteilungseffekte einhergehen, sodass einkommensschwächere Haushalte relativ gesehen stärker von der Steuer belastet werden. Auch Ohlendorf (2020) bestätigt in einer Übersicht zahlreicher wissenschaftlicher Artikel den Effekt, dass einkommensschwache Haushalte, bezogen auf ihren Konsum, stärker belastet werden. Erklären lässt sich dies damit, dass Haushalte geringeren Einkommens einen hohen Anteil ihrer finanziellen Mittel für Grundbedürfnisse aufwenden. Die wirklich entscheidenden Bereiche bilden dabei Wärme und Wohnen, sowie Mobilität. Haushalte können an diesen Stellen schwieriger ihren Konsum anpassen. Ganz allgemein lassen sich in Folge dessen vier Gruppen identifizieren, die besonders von einer CO2-Steuer betroffen wären: einkommensschwache Haushalte, Alleinstehende, Pendler und Haushalte mit Öl- oder Gasheizungen.

Eine weitere wichtige soziale Komponente der Klimapolitik besteht im vorangetriebenen Strukturwandel. Gehen wir hierzu näher auf den Automobilsektor ein: Zum einen wird die Besteuerung konventioneller Treibstoffe im Individualverkehr die Nutzung klimafreundlicher Fortbewegungsmittel günstiger stellen und somit eine Lenkungswirkung entfalten. Dies bedeutet, dass die Nachfrage nach Verbrennungsmotoren zurückgeht und somit auch Beschäftigungsverhältnisse in der Produktions- und Zuliefererindustrie gefährdet werden. Eine Studie des Fraunhofer Instituts kommt etwa zu dem Schluss, dass bis 2029 bei VW 12 Prozent der Arbeitsplätze in der Fahrzeugfertigung wegfallen. Neben den gut bezahlten Mitarbeiter:innen deutscher Autokonzerne, dürften aber bei diesem Restrukturierungsprozess insbesondere Mitarbeiter:innen von Zulieferbetrieben betroffen sein, die häufig deutlich weniger verdienen als Arbeitnehmer:innen bei VW. Ebenso ist es denkbar, dass Arbeitsplätze in den auf Verbrennungsmotoren spezialisierten Entwicklungs- und Fertigungsabteilungen wegfallen. Damit gefährden diese Prozesse Haushalte verschiedenster Einkommensklassen. Gleichzeitig können in der Entwicklung und Fertigung von Elektromotoren und verschiedensten Produkten der E-Mobilität und Digitalisierung neue Arbeitsplätze entstehen. Welche Effekte dieser Substitutionsprozess auf bestehende Leistungsqualifikationen hat, ist damit eine wichtige Zukunftsfrage.
Chancen einer Abstimmung von Klima- und Sozialpolitik
Chancen einer Abstimmung von Klima- und Sozialpolitik
Die sozialpolitischen Chancen klimapolitischer Eingriffe ergeben sich weniger aus den Einnahmeaktivitäten des Staates als vielmehr aus seinen Ausgabepotenzialen. Auch wenn die Besteuerung von CO2 eine regressive Wirkung aufweist, so kann dieser Effekt durch gezielte Umverteilungsaktivitäten in sein Gegenteil gewandelt werden. Ein vielseitig diskutiertes Instrument ist hierbei der CO2-Preis mit Klimadividende. Hier werden mit CO2-Emissionen verbundene Aktivitäten mit einer Steuerabgabe versehen. Der gewonnene Steuerertrag wird im Anschluss gleichmäßig an die Haushalte ausgeschüttet. Auch wenn die Konsumaktivitäten einkommensschwacher Haushalte gerade in den zu besteuernden Bereichen liegen, so wird die gleichmäßige Verteilung der Steuereinnahme auf die Individuen eine schlussendlich progressive Wirkung herstellen. Einkommensstarke Haushalte haben ein höheres Konsumniveau und werden so, wenn auch der Anteil dieser steuerlichen Belastung geringer ist, absolut mehr Steuern entrichten. Diese Mehreinnahmen fließen anschließend den einkommensschwächeren Haushalten zu und verbessern so ihre ökonomische Situation.
Betrachten wir konkret Deutschland, so würde der Preis von 35 Euro je Tonne CO2 ein jährliches Aufkommen von ca. 11 Mrd. Euro generieren, wobei der durchschnittliche Haushalt mit 270 Euro belastet werden würde. Das geht aus den Berechnungen des Sachverständigenrates hervor.
Ist eine stärkere Einkommenssteigerung unterer Einkommensschichten gewünscht, so wäre eine Senkung der Einkommenssteuer oder die Reduzierung von Sozialversicherungsbeiträgen überlegenswert. Denkbar wäre es etwa im Rahmen der Einkommensteuer den Grundfreibetrag zu erhöhen oder aber den Eingangssteuersatz zu senken. Ebenso kann das Konzept der Klimadividende gezielter auf die Verteilung von Einkommen “nach unten” ausgerichtet werden. Nur bei Erreichen eines bestimmten Bedürftigen-Status fließen einem dann Gelder aus diesem “Fonds” zu. Auf diese Weise käme das Geld nur Personen zugute, die es auch tatsächlich benötigen – eine jährliche Einkommenssteigerung von bis zu 900 Euro wäre so möglich. Ob die Legitimierung dieser Strategie ebenso einfach durchzuführen ist, wie bei der aufkommensneutralen Dividende, bleibt fraglich. Hier könnten sich weiterführende Debatten über Verteilungsgerechtigkeit ergeben.

Die Klimadividende kann auch aus einer Perspektive ökonomischer Effizienz betrachtet werden. Wenn wir nachfrageseitigen Theorien der Ökonomie folgen, so entstehen auch aus permanenten Umverteilungsaktivitäten Nachfrageimpulse, die ihrerseits zu einer höheren Beschäftigung und zu steigenden Einkommen führen. So wird Armut auf dem Weg der Erwerbsarbeit überwunden.
Sozialpolitik kann auf vielfältige Weise durchgeführt werden. Nicht nur durch Transfers, sondern auch durch die Bereitstellung öffentlicher Güter, können distributive Gerechtigkeitsvorstellungen verfolgt werden. So können die Einnahmen aus der Klimabesteuerung für Investitionen in Bildung, Kultur, Infrastruktur und Gesundheit genutzt werden. Dies ermöglicht zum einen Partizipation der Individuen an diesen Gütern, zum anderen aber auch positive “externe” Effekte auf die Gesellschaft, wenn etwa gebildete Menschen produktiver und friedlicher sind, oder Menschen, die durch das Gesundheitssystem versorgt sind, Mitmenschen davor schützen, bspw. gefährliche Infektionskrankheiten zu erleiden.
Darüber hinaus können finanzielle Mittel bereitgestellt werden, die die Effekte der oben skizzierten Transformationsprozesse abfedern. Vorstellbar wären Ausgaben in den Bereichen Umschulung, Weiterbildung oder Investitionsförderung.
Fazit – Aufforderung zur Harmonisierung von Klima- und Sozialpolitik
In diesem Artikel haben wir ausgesuchte Einblicke in Probleme und Chancen der Vereinbarkeit von Klima- und Sozialpolitik gegeben. Werden die Politikbereiche effektiv aufeinander abgestimmt, so können Hindernisse überwunden und verschiedene Zielstellungen miteinander harmonisiert werden. Nichtsdestotrotz bleibt eine solide und effektive Grundsicherung unerlässlich, die diese Prozesse unterstützend begleitet. Die Einnahmepotenziale der Klimadividende sind keinesfalls genügend um allen relevanten Anliegen gerecht zu werden.
Die vorgestellten Maßnahmen einer sozial verträglichen Klimapolitik sollten aber nicht nur aus der Stabilisierungsperspektive begriffen werden. Sozialpolitik ist per Definition ein Bündel staatlicher Maßnahmen im Interesse der “Schwächeren” und folgt bestimmten distributiven Gerechtigkeitsvorstellungen. Die Sozialpolitik des Wohlfahrtsstaates ist nicht nur auf die Verbesserung der ökonomischen Situation des “Armen” ausgerichtet, sondern versucht über die Angleichung der Lebenschancen die Distinktion von Arm und Reich zu reduzieren. Relative Gleichheit entbindet den Wert des einzelnen Individuums von seiner Leistung und bringt ihm so eine bedingungslose Wertschätzung entgegen, welche es seinerseits an die Gesellschaft zurückgeben kann. So fördert Sozialpolitik den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ermöglicht eine stabile Demokratie. Gerade deshalb sollte uns die soziale Komponente klimapolitischer Maßnahmen umso wichtiger sein.
Johannes Koberstein & Rainer Niemann