Kein Klatschen für Kulturschaffende

„Kultur macht man nicht einfach zu“, sagt Boram Lie. „Ich fühle mich nicht kulturlos, nur weil die Theater geschlossen haben.“ Die freischaffende Künstlerin ist Cellistin und Gründungsmitglied des Berliner Solistenensemble Kaleidoskop. Sie ist Teil einer Branche, die von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen wurde. Ob Staatsschauspiel, Opernhäuser, Festivals, kleine Off-Theater oder Konzerthallen – durch das Aufführungsverbot bleibt es in ausnahmslos allen Kulturstätten des Landes still. Doch nicht jede*r erlebt die Situation in gleichem Maße. Während die großen Kulturin-stitutionen über mehr finanzielle Ressourcen verfügen, ist die wirtschaftliche Lage für die freie Sze-ne      deutlich prekärer. Wie verändert sich dadurch für sie der Arbeitsprozess? Was bedeutet also kreatives Arbeiten in der Corona-Krise für freischaffende Künstler*innen? Wie gehen Kulturschaf-fende damit um, wenn niemand klatscht? Und welche Implikationen ergeben sich daraus für die Zukunft der Branche? Das wollten wir von kreativen Köpfen der freien Musikszene wissen.

Photo: Solistenensemble Kaleidoskop (c) Marius Glauer

Im Gegensatz zu staatlich geförderten Häusern wie den Stadttheatern, die weiterhin finanziell mit-getragen werden, müssen freischaffende Künstler*innen ihre Finanzierung selbst in die Hand neh-men. Antragsbezogene Förderung ist in der Szene grundsätzlich kein Novum und die bürokratischen Hürden hoch. Geld für den Arbeitsprozess gibt es nur, wenn die Antragsstellenden eine umfassende Projektplanung vorlegen können, die von den Fördernden als wertvoll und förderfähig eingestuft wird. Konkret bedeutet das viel unbezahlte Vorarbeit, ohne zu wissen, ob die Finanzierung bewilligt wird. Die Zuschüsse, die nun die Kulturschaffenden in der Krise unterstützen sollen, sind mit dem gleichen aufwändigen Antragsverfahren verbunden. Problematisch ist daran unter anderem, dass auf einmal Menschen diese Anträge schreiben müssen – also Projekte planen müssen – die das norma-lerweise nicht tun. Wer beispielsweise als Musiker*in in einem Ensemble spielt, kam bisher nicht zwangsläufig mit dem Prozess des Antragsschreibens in Berührung. Dies in der ohnehin belastenden Situation der Pandemie erstmalig bewältigen zu müssen, stellt für viele eine Hürde dar. „Irgend-wann fühlt man sich wie eine Aufziehpuppe, die permanent Anträge schreibt und immer wieder eine neue gute Idee produzieren muss, erzählt uns die freischaffende Violinistin Daniella Strasfogel.

Auch die Kontaktbeschränkungen verändern den Arbeitsprozess. „Dass man nicht mehr gemeinsam an einem Tisch sitzt, macht viel aus“, sagt Volker Hormann. In seiner Rolle als Geschäftsleitung von Kaleidoskop koordiniert er die Umstellung des Arbeitsprozesses für das Ensemble. Da die Gruppe eine zweijährige Projektförderung erhält, ist es ihnen möglich, auch in der Krise weiter kreativ mit-einander zu arbeiten – allerdings meistens digital. Hormann ist sich des Privilegs sehr bewusst. Gleichwohl ist es für ihn ein anhaltender Prozess der Kalibrierung: „Man versucht, die Vereinzelung zusammenzuführen.“ Gerade mit Videocall-Programmen wie Zoom sei das schwierig. Man müsse viel sauberer kommunizieren, weil die Atmosphäre im Raum fehlt. Die so genommene Umleitung des kreativen Austausches beschreibt er als besonders anfällig für Missverständnisse. Um dem ent-gegenzuwirken, hat das Ensemble die zwischenzeitliche Entspannung des Infektionsgeschehens im Sommer 2020 genutzt, um in Form von Workshops zu einem gemeinsamen Arbeitsprozess zurück-zufinden.

Nicht nur der digitale Arbeitsprozess, auch das Produzieren von Ergebnissen, die für die Zuschau-er*innen online erlebbar werden, ist für die Künstler*innen eine Herausforderung. Vieles sei gar nicht in Videos umsetzbar, denn bloßes Abfilmen reiche nicht aus, findet Hormann. Man muss sich auch hier immer wieder neu überlegen: Wie kann man Brücken schlagen, Übersetzungen herstellen? Laut Boram Lie haben digitale Formate noch einen weiteren Nachteil: „Durch die schnelle Konsu-mierbarkeit fallen die Rituale drumherum weg.“ Auch Daniella Strasfogel ist nicht überzeugt von der Kultur per Klick. Dadurch, dass in der Pandemie bereits große Teile der Kommunikation mit der Außenwelt über den Computer stattfinden, konstatiert sie eine grundsätzliche Bildschirmmüdigkeit: „Ich habe selbst keine Lust, mir digitale Formate anzugucken.“

Photo: Solistenensemble Kaleidoskop (c) Adam Berry

Volker Hormann findet, dass sich durch die Pandemie der Arbeitsfokus ohnehin verstärkt weg vom Ergebnisorientierten und hin zum Prozesshaften ausrichtet. Dem Erkenntnisprozess schreibt er dabei auch ein Potential zur gesellschaftlichen Veränderung zu. Doch dafür gibt es bisher keine Förder-gelder. „Wir müssen hin zu einer Entwicklungsförderung, denn gerade durch ergebnisoffenes Arbei-ten lernen wir mit- und voneinander“, sagt auch Strasfogel. Die Relevanz des Outputs zu hinterfra-gen, ihn gar neu zu definieren – das sind Perspektiven, die der Lockdown eröffnet hat. Über eins sind sich die Künstler*innen einig: Die Pandemie hat ihnen in ihrer Situation ermöglicht, ein Stück zurückzutreten, sich selbst und ihr Schaffen zu hinterfragen. Lie prognostiziert: „Nach der Krise will man keine halbherzigen Sachen mehr machen.“

Sich zu reflektieren und selbst in den Kontext zu setzen, bringt aber auch neue Zukunftssorgen mit sich. Bisher hatten Kaleidoskop durch die Krise hindurch das Glück, gefördert zu werden. „Berlin war verhältnismäßig großzügig, was Förderungen angeht“, sagt Strasfogel. Doch dieses Geld muss an anderer Stelle wieder eingespart werden. Neben der Frage nach der Wiedereröffnung der Kultur-stätten beunruhigt insbesondere der Gedanke an langfristige Kürzungen im Kulturetat und die wei-tere Entwicklung der politischen Landschaft die drei Künstler*innen. Es drängt sich die Frage auf, welcher Stellenwert in Deutschland der Kultur jetzt und in Zukunft beigemessen wird. „Man muss sich selbst immer wieder in Relation setzen und das eigene Tun hinterfragen, besonders in der Pan-demie. Uns ist klar, dass wir nicht der Nabel der Welt sind“, sagt Hormann. Und doch: Wenn auch nicht lebensnotwendig, so ist Kultur von jeher ein Spiegel von Gesellschaften. Sie zeigt, was uns wichtig ist, sie regt zum Nachdenken an, spendet Trost, lässt Mut schöpfen und Raum für neue Ideen entstehen. In der Kultur werden gesellschaftliche Veränderungspotenziale entdeckt, erprobt und erlebbar gemacht. Gerade die freie Szene ist mit ihren flachen Hierarchien dialogorientiert und reagiert schnell auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse. Damit ist sie ein unmittelbarer Gradmesser dafür, wo wir in dieser Gesellschaft stehen. Manches bleibt Utopie für einen Abend, manche Entde-ckung kann übernommen werden. In einer Welt, die durch die Pandemie im Umbruch ist wie nie zuvor, sollten wir darauf nicht verzichten.

Lea Gudwoski, Carla von der Minde & Niklas Kohl

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