Gewalt und Ambivalenzen in der (Post-) Moderne – ein Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma über Zygmunt Bauman

Was ist eigentlich die Moderne? Befinden wir uns als bundesrepublikanische Gesellschaft auf dem Weg in eine Postmoderne? Was haben diese Fragen mit Gewalt und Ambivalenzen zu tun? Über diese und weitere Fragen spreche ich mit Jan Philipp Reemtsma. Dabei lassen wir unser Gespräch auch von den Thesen Zygmunt Baumans leiten. Wer diese Menschen sind und wie wir durch diese theoretischen Brillen auf unsere Gegenwartsgesellschaft schauen können, erfahrt ihr in diesem Podcast.

Teil 1:

Transkript

[0:01] Hallo und herzlich willkommen! Dies ist ein Podcast von Soziologinnen an der Universität Potsdam.

[0:07] Music.

[0:14] Heute, für Sie und Euch am Mikrofon, ist Sabrina Arneth.

[0:19] Ich bin Sabrina Arneth und heute wollen wir über Gewalt in der Moderne bzw. Postmoderne sprechen.
Was das genau heißt, klären wir gleich noch.
In dieser Folge werden zwei Menschen wichtig werden, Zygmunt Bauman und Jan Philipp Reemtsma.

[0:37] Zygmunt Bauman war ein polnisch-britischer Soziologe und Philosoph.
Er ist 1925 in Polen geboren und 2017 in England gestorben.

[0:49] Sein Leben war vom politischen Weltgeschehen und dem Auf- und Untergang von Ideologien geprägt.
Er musste zweimal vor der Verfolgung fliehen, 1939 vor den deutschen Nazis, die Polen überfielen, und später, 1968 im Zuge der Märzunruhen, aus dem kommunistischen Polen.
Beide Male war es nicht zuletzt eine antisemitische Verfolgung.
Bauman war für die Sowjetunion im polnischen militärischen Dienst und Geheimdienstoffizier im kommunistischen Polen gewesen.
1953 begann Bauman seine wissenschaftliche Laufbahn.
Er hatte verschiedene Stellen in Warschau und Haifa inne, bis er 1971 einen Ruf zum Professor im nordenglischen Leeds annahm und in Leeds blieb bis zu seinem Tod.

[1:39] Besondere Bedeutung erlangte er als einer der ersten, die Dijon als einen Abschnitt der Geschichte der Moderne, der sich nur in und aus der Moderne herausentwickelt haben konnte, verstand.

[1:52] Zentral waren in diesem Zusammenhang seine Bücher Kritik der Ordnung, die Moderne und der Holocaust und Moderne und Ambivalenz, das Ende der Eindeutigkeit, welche beide 1992 auf Deutsch erschienen sind.

[2:08] Er begründet seine These mit der zunehmenden Rationalisierung der meisten Lebensbereiche.
Es entstand in der Moderne eine Kultur des Ordnens und Kategorisierens, wobei der Nationalstaat die Aufgabe eines Gärtners übernimmt, der diese Ordnung in seinem Garten, also der Gesellschaft, immer wieder herstellen soll.

[2:29] Im Nationalsozialismus wurde diese Logik auf eine gewisse Weise übermotiviert angegangen, Während in anderen Ländern von Rassenhygiene nur fantasiert wurde, planten die deutschen Nazis den Genozid an den europäischen Jüdinnen und begannen ihn umzusetzen.

[2:46] Bekannterweise waren nicht nur Jüdinnen betroffen, auch andere Gruppen, die nicht in die bestehende Ordnung passten oder gänzlich unbestimmer wirkten, wurden als Bedrohung der Reinheit der Rasse ausgemacht.
Wie zum Beispiel Sinti*zze und Roma*nja, homosexuelle Menschen, die als asozial markiert wurden, oder Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen.

[3:11] Bauman argumentiert, dass jede Ordnung und jede Kommunikation auch immer Ambivalenzen erzeugt, zum Beispiel Unklarheit darüber, was gemeint war oder in welche Kategorie etwas gehört.

[3:25] Der Kampf der Menschen in der Moderne gegen diese Ambivalenzen ist also im Endeffekt ein aussichtsloses Unterfangen, welches immer wieder neue Formen von Gewalt und Entmenschlichung hervorbringt.

[3:38] Bauman meinte, in den 90ern eine Veränderung im Umgang mit Ambivalenzen zu beobachten.
Ein neues Bewusstsein für die Unüberwindbarkeit dieser Ambivalenzen bildete sich langsam aus und wurde zunehmend institutionalisiert.

[3:54] Was das nun für den gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt bedeutet, ist die Frage, die ich jetzt mit Jan Philipp Reemtsma besprechen möchte.
Jan Philipp Reemtsma ist Literatur- und Sozialwissenschaftler und war gut 20 Jahre Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg.
Er fördert Wissenschaft und Kultur in verschiedenen Stiftungen und ist Gründer und ehemaliger Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung.
2008 veröffentlichte er das Buch Vertrauen und Gewalt, Versuch über eine besondere Konstellation in der Moderne, welches eine große Bedeutung für die deutschsprachige soziologische Gewaltforschung hat und vermutlich auch weiterhin haben wird.
Hallo Herr Rehmsner, schön, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ja.
Vielleicht ganz zu Anfang eine Frage zu unserer Arbeit als Sozialwissenschaftlerin.
Vor welchen Problemen steht man als Sozialwissenschaftlerin, wenn man sich mit dem Thema Gewalt beschäftigen möchte?

[4:51] Wie bei allen anderen Themen vor einer ganzen Menge von Problemen, die man dann spezifizieren muss.
In diesem Falle speziell sicher, dass zumindest bis vor einigen Jahren oder vielleicht ein oder zwei Jahrzehnten, Gewalt eigentlich kein Thema der Soziologie war.
Und da stellt sich dann immer die Frage, die dann gewissermaßen die Arbeit begleitet, warum eigentlich?
Da ist die Soziologie, und das ist in gewissem Sinne pikant, weil die Soziologie ja klüger sein sollte als das Objekt, was sie beobachtet als die Gesellschaft.
Insofern Teil der Gesellschaft war die Gewalt für ein Problem, mit dem sie sich nicht zu beschäftigen hat, weil es kein öffentliches Problem ist.
Dabei übrigens vergessen hat, wie sehr Gewaltformen integriert sind in unsere Gesellschaft, etwa einem Strafvollzug oder ähnliches. Und etwas wie Strafvollzug zu betrachten, soziologisch zu betrachten, ohne den Gewaltaspekt zu sehen, ist einfach eine Teilblindheit. Und was sich Soziologie, alle anderen Wissenschaften nicht leisten kann, ist Teilblindheit.

[6:17] Und warum ist es dann wichtig, genau darüber nachzudenken, um diese Blindheit zu vermeiden?
Weil man sonst die Gesellschaft, in der man lebt, nicht versteht, wo sie herkommt, wie sie ist, wo sie vielleicht hingeht.
Wenn man einen so wichtigen Aspekt einfach ausklammert, dann bedeutet Teilblindheit, dass das Gesamtbild schief wird.
Oder anders gesagt, der Sozialwissenschaftler oder die Sozialwissenschaftlerin tut ihre Arbeit nicht umgleich, wenn sie systematisch bestimmte Dinge übersieht.
Welcher Art sie auch immer seien.

[6:55] Schauen wir auf die Themen der heutigen Folge. Wenn wir von modern sprechen, meinen wir in der Regel eine bestimmte kulturelle Ordnung von Gesellschaften im europäisch-transatlantischen Raum, die um 1600, 1700 begannen, sich auszubilden.
Wir denken dann zum Beispiel an die Aufklärung als intellektuell-kulturelles Projekt, oder an die soziokulturellen und ökonomischen Umbrüche im Rahmen der industriellen Revolution.
So ähnlich hat es ja auch Bauman beschrieben.
Und Sie hingegen schlagen jetzt vor, Gesellschaftsordnungen darüber zu definieren, wie Sie soziales Vertrauen erzeugen und wie Sie Zonen der Gewalt definieren.
Vor diesem Hintergrund, was macht für Sie die Moderne aus?
Ich betrachte den Zeitraum, den Sie angesprochen haben, als einen, wo Europa durch schwere Krisen ging.
Nicht nur Krisen der Neu-Rum in aller Arten, sondern Krisen, die mit extremer Kriegen und ähnlichem zu tun hatten. diese Kriege waren.

[8:02] Zum Teil religiös bestimmt, motiviert und die Rolle der Religion, die auch immer, den Level der öffentlichen Gewalt mitbestimmt hat. Die Rolle der Religion hat sich in diesen Krisen, massiv geändert. In diesen Krisen hat sich etwas herausgebildet wie.

[8:27] Eine veränderte Haltung zur Gewalt. Die Gewalt war nicht mehr die Normalität, die gar nicht mehr befragt wurde, sondern wurde zunehmend etwas, was an sich problematisiert wurde.
Gewalt war nie per se normal. Es war immer die Frage, wer übt Gewalt aus an welchem Ort, mit welcher Legitimation und so weiter. Das ist immer, ist in allen Kulturen, allen Gesellschaften so.
Dass Gewalt an sich ein Problem ist, auch dort wo sie legitim ist, als legitim angesehen wird.
Dort ein Problem ist und man sich Gedanken darüber macht, ob Gewalt noch notwendig ist.
Das ist neu, das kommt in dem was wir hier Moderne nennen, neu auf und unterscheidet diese Kulturformation oder Zivilisationsform, wie ich das nennen möchte, von allen anderen in der Geschichte und auf dem Globus.
Das ist also wirklich eine dramatische Unterscheidung, die, wie ich meine, allgemein gar nicht so in dieser Dramatik begriffen worden ist.

[9:44] Welche Rolle haben da die verschiedenen Kriege gespielt in dieser Zeit?
Ich denke, es ist in diesen Kriegen, ich denke jetzt zum Beispiel an den 30-jährigen Kriegen, etwas passiert, was manchmal Kriege begleitet, wo die Menschen kein Ende finden können.

[10:02] Wo Politik oder was auch immer es nicht richtig hinbekommt, zu Friedensschlüssen zu kommen, wo Kriegsziele sich im Krieg verändern und die Sache selbstläufig wird.
Einem Ermüdung. Man war dem Krieg von allen Parteien.
Und es hat sich das Bewusstsein herausgebildet, dass die Religionen oder Konfessionen, der Namen man angetreten war, auch wenn Politik noch andere Rollen gespielt hat. Politik, Ökonomie, was weiß ich. Dass diese Religionen nicht in der Lage waren.

[10:45] Frieden zu schließen oder.

[10:49] Rhetoriken auszubilden, die es leichter machten Frieden zu schließen oder Legitimationsmodi herauszubilden, die die Partei nötig fliegt, Flierigen zu schließen, Delegitimationsmodi und so weiter und so weiter.

[11:02] Das war von wirklich großer Bedeutung. Es beginnt mit einem vorwiegend Religionskrieg, der Dreißigjährige Krieg und endet als politischer Krieg, der, politisch beendet wird mit einem ausgefeilten Friedensschluss, der, wenn man ins Detail geht, sieht, wo man sieht, dass dort systematisch Religion an die zweite Stelle gerückt wird und die Politik an die erste Stelle.
Eine, wenn man sich die Geschichte seit der Antike anguckt, wirklich revolutionäre Umgestaltung.
Und dann beginnt synchron damit Gewalt aus dem öffentlichen Raum langsam Schritt für Schritt verdrängt zu werden. Todesstrafe gibt es lange Zeit noch, aber sie findet nicht mehr selbstverständlich in exzessiven Grausamkeitsformen statt und nicht mehr selbstverständlich vor aller Augen in der Öffentlichkeit. Das Waffentragen in der Öffentlichkeit wird zurückgedrängt, bis zu einem Punkt bei uns heute, wo es vollkommen, wo es auch delegitim ist, kein Mensch darf in der, Öffentlichkeit Waffen tragen und ein paar hundert Jahre vorher wäre es das Normalste von der Welt, jedenfalls für Männer, Waffen zu tragen.

[12:28] Und vieles lässt sich dabei finden. Dass Thomas Hobbes in seiner Philosophie das Thema der Gewalt zu einem Zentrum macht, ist etwas vollkommen Neues, was für Philosophen vorher ein völlig absurder Gedanke gewesen wäre, das in das Zentrum der Philosophie zu stellen.
Ein ganz lehrreiches Beispiel ist die Entwicklung der Dramen von Shakespeare, wo in den frühen Dramen Gewalt völlig unproblematisch ist.
Die sind bis zum Ende gewalttätig, extrem gewalttätig. Aber es kommen immer mehr Personen in diesen Stücken vor, die Gewalt problematisieren.
Und im Falle des Macbeth ist Gewalt oder die selbst, die aus dem Ruderlaufen von Gewalt, auf einmal das Thema des Stückes selbst.
Also es gibt eine ganze Fülle von Beobachtungen, die man da zusammentragen kann, die eigentlich diese These von der Umbildung in der Moderne, was das Verhältnis zur Gewalt angeht, nach meinem Urteil ziemlich unwiderleglich machen.

[13:43] Sie haben es ja gerade schon erklärt, also das Ergebnis ist dann der besondere Legitimationsdruck, unter den die Anwendung von Gewalt in der Moderne gestellt wird.
Ja. Und in Ihrem Buch laufen Sie dann ja auch los bei der Frage, wie konnten ganz normale Männer und Frauen und so weiter, wie konnte der Holocaust, wie konnte die Shoah in Deutschland passieren, obwohl wir eigentlich diesen besonderen Legitimationszwang haben?
Wobei ich die Formulierung von den ganz normalen Männern ja in Grunde kritisiere. Genau.
Ich sage, es sind immer ganz normale Männer, denn für große Gewalttätigkeiten, wo immer sie stattfinden, also die Legionäre in Rom waren auch ganz normale Männer, waren auch Dropouts und so weiter und so weiter.

[14:34] Und der Kriegsdienst ist ja doch dort, wo die Wehrpflicht ist, immer ein Ort, wo normale Männer stattfinden.
Also das mit den normalen Männern, das kritisiere ich. Aber ich frage mich natürlich, wie kann es, wie ist es möglich, dass in einer modernen Gesellschaft, die sich dieses Selbstbild angeeignet hat, auf dem Weg zu einer gewaltarmen Zukunft zu sein und ein Stück weit angekommen zu sein, und Gewalt unter einem besonderen Legitimationswurf zu stellen, wie kann es so schnell geschehen, dass eine Gesellschaft umgebaut wird, so dass sie teilweise auf exzessive und öffentlich sichtbare Gewalt beruht, wie etwa Rund 33, kurz nach der sogenannten Machtergreifung, in den Zeitungen steht, dass ein Konzentrationslager errichtet wird, nämlich Dachau. Das ist ja nicht heimlich passiert. Oder die ersten Boykots von jüptischen Gesellschaften, wo Menschen auf offener Straße zusammengeschlagen wurde. Also deutlich das Gewaltmonopol des Staates hingestellt wurde und Bürger daran teilgenommen haben, daran vor allem teilnehmen durften.

[16:02] Das geht ungeheuer schnell und es zeigt sich in allen Augenzeugen, das zeigt sich auch in der literarischen Verarbeitung, dass ich sage mal der Bürger das ganz erstaunlich gelassen hin nahm. Und das könnte ja meine These von der Umwelt, von der Moderne doch sehr in Frage stellen.
Also faktisch ist es in Frage gestellt worden.
Interessanterweise ist, dass es hinterher, wenn auch unter extrem äußerem Druck, nämlich einem verlorenen Krieg, genauso schnell wieder umgebildet wurde.
Das haben ja auch sehr viele nicht für möglich gehalten.

[16:46] Wir dachten, dieser Zivilisationsbruch geht so tief, dass sich jedenfalls die deutsche Gesellschaft für Jahre, vielleicht Jahrzehnte, davon nicht wieder holen wird und überwacht werden muss.
Und ein paar Jahre später kam dann diese Frage, wie konnte das passieren, mit einer neuen Verwunderung auch auf.
Das ist Teil der Selbsttäuschung, der gesellschaftlichen Selbsttäuschung, die Sie beschreiben, dass diese Frage immer wieder so gestellt wird.
Ja, das ist richtig, weil sie ist ein Zeichen dafür, dass man sich diese Frage vom Leib halten will.
Denn es gehört eben diese Beobachtung dazu, dass solche historischen Umbildungsprozesse, sehr wohl reversibel sind und dass man nichts von dem, was historisch einmal gekommen ist, für gesichert, für alle Zeiten die Normalität, mit der wir konfrontiert sind, halten darf.

[17:50] Also wenn man politisch ordentlich denken will, muss man sehen, wie fragil das Ganze ist. Das gehört dazu.

[17:59] Und was ist für Sie der Kern dieser modernen Selbsttäuschung?

[18:04] Der Kern ist, dass man, wie gesagt.

[18:12] Die Fragilität unseres Zustandes verleugnet. Dass man versucht, wo Gewalt dennoch auftritt, sei es historisch in, solchen politischen Umbrüchen, sei es aber auch im Alltag der Kriminalität, immer versucht, besondere Erklärungen zu finden, die das Ganze isolieren als Anomalität.
Das Nationalsozialismus war der berühmte Rückfall ins Mittelalter?
Nein, es war kein Rückfall ins Mittelalter, sondern es war in der Moderne. Simon Bauman.
Oder in der Kriminalität hat man versucht, entweder Gewalt als eine aus dem Ruder gelaufene Art.

[19:09] Dessen, was wir alle betreiben.

[19:12] Wir sind alle irgendwie geldgierig. Wir halten es nur im Zaub und die schaffen das nicht aus irgendwelchen Gründen.
Oder es zu pathologisieren.
Aber so zu pathologisieren, dass man es nicht mehr angucken muss.
Sie sprechen auch von Zonen der Gewalt.
Was meinen Sie damit und wie sind die in der Moderne? Ja, Zonen der Gewalt, das, Damit spezifiziere ich, dass alle Gesellschaften in irgendeiner Weise Gewalt ausüben und legitimieren oder delegitimieren.
Wo immer wir hinsehen, in welchem historischen Zustand oder wo auch immer auf dem Globus, ist Gewalt entweder verboten oder erlaubt oder geboten.
Das wird dann unterschrieben, je nachdem, wo sich jemand befindet oder wie die Situation definiert ist.
Ein schönes, einfaches, plastisches Beispiel ist der Boxkampf.
Wenn Sie da in den Ring treten, ist es ganz klar, der Ring umgrenzt die Zone sogar sichtbar.
Und Sie dürfen Gewalt nicht anders als auf eine bestimmte Weise ausüben.
Sie dürfen Gewalt in dieser und dieser Weise ausüben. Und Sie müssen es sogar, denn wenn Sie es nicht tun, dann werden Sie diskonfiziert.
Beim Soldaten ist das wieder etwas anderes.

[20:41] Der Polizist ist in einer Organisation oder Institution mit Gewaltlizenz, die wiederum ihrerseits begrenzt ist.
Das nenne ich Zonen der Gewalt. Und da kann es dann Streitigkeiten darüber geben, wie diese Zone genau definiert ist oder in welcher ich mich gerade befinde.
Das kann bei Kriegen eine Rolle spielen, wo unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, die unterschiedliche Auffassung dessen haben, was Krieg ist, was man im Krieg tun darf und was nicht, dann ist eine Seite mit einer Gewaltform konfrontiert, die in ihrer Vorstellung von Krieg nicht vorkommt und hält den anderen für barbarisch, mit guten Gründen, zunächst einmal, weil sie schockiert sind und denkt für den anderen gelten überhaupt keine Regeln. Das stimmt nicht, es gelten nur andere Regeln.
Aber die sind erschütternd andere und deshalb sind sie frappiert. Das ist in dem europäischen Mittelalter passiert, aber es passiert natürlich in ganz besonderer Form, etwa in der Geschichte des Kolonialismus oder bei der spanischen Conquista in dem was dann später in Lateinamerika genannt wurde. Da sind ganz unterschiedliche Arten von Krieg auch aneinander gekommen und die die beiden kriegführenden Kulturen haben einander überhaupt nicht verstanden.

[22:04] Der zweite Aspekt, den Sie dann nennen, um Gesellschaftsformen zu charakterisieren, ist soziales Vertrauen. Was verstehen Sie darunter?
Ich verstehe unter sozialem Vertrauen nicht das persönliche Vertrauen, was Menschen untereinander als zwei Individuen in Kontakt miteinander treten, sie oder ich, einander entgegenbringen.
Wir haben bestimmte Unterstellungen, was der andere tut oder nicht.
Können uns irren, aber wir haben diese Unterstellungen. Oder institutionelles Vertrauen.
Ich werde auch morgen mit meinem Geld weiter bezahlen können.
Soziales Vertrauen nenne ich eine bestimmte Unterstellung von Normalität.
Was ist das, was ich insgesamt erwarten kann von der Gesellschaft, in der ich mich bewege?

[22:56] Ich weiß, und das gehört zum Vertrauen, dass das auch gestört werden kann.
Die Normalität kann durchbrochen werden.
Ich kann mit so etwas konfrontiert werden.
Aber ich weiß, was ich dann mache.
Ich weiß, was meine Rolle ist, diese Normalität wieder herzustellen.
Oder ich weiß, welche Erwartungen ich an andere Menschen gegenüber oder Institutionen stellen darf, dass das wieder in Ordnung gebracht wird.
Also das sind die zwei Stichworte. Normalitätsunterstellung und ich weiß, was ich dann machen muss, wenn etwas passiert.
Das heißt nicht, weil das Fortvertrauen so nett klingt, das heißt nicht, dass der Zustand, in dem ich mich bewege, ein schöner ist.
Vertrauen kann auch in äußersten Krisensituationen sein. Wenn zum Beispiel staatliche Ordnung zerbricht, dann muss ich mein Vertrauen, die Mode meines Vertrauens umorientieren.
Ich werde also möglicherweise mit der Situation konfrontiert, dass ich einer Bürgerkriegspartei beitreten muss.
Ich muss möglicherweise Teil einer Bande werden, um mein eigenes Leben zu retten, oder weiterfinden zu können.
Das kann ich als schreuslich empfinden, aber ich weiß, was ich dann machen muss.

[24:21] Soziales Vertrauen. So definiere ich das. Und wie wird es in der Moderne hergestellt?
Das soziale Vertrauen? Ja, natürlich wie überall setzt sich das auf sehr verschiedene Weise zusammen.
Aber wir sprechen hier über das Thema der Gewalt.
Und da verbinde ich das mit dem, worüber wir eben gesprochen haben, dass Gewalt in einer bestimmten Weise öffentlich nicht mehr stattfindet, findet, dass Gewalt kontrolliert stattfindet, dass es ein staatliches Gewaltmonopol gibt, auf das ich mich verlassen kann. Gewaltmonopol ist übrigens kein Zustand, sondern ein Prozess der Herstellung des Gewaltmonopols. Das Ideale ist tatsächlich, dass nur der Staat nur durch bestimmte Instrumente Gewalt ausübt. Das ist aber wie gesagt ein Prozess. Wir Wir wissen, dass in den USA andere Waffengesetze gelten als in Europa.
Und wir wissen, welche Gewaltformen bis vor kurzem auch hier noch, ich will nicht sagen selbstverständlich waren, aber legitim waren, wie zum Beispiel Kinder zu schlagen, Männer ehe Frauen zu schlagen und Ehefrauen zu vergewaltigen.
Das war bis vor kurzem legal.

[25:45] Und das fasse ich unter der langsamen Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols.
Denn da kann derjenige, der in der familiären Gewalt ausgesetzt ist, sich an den Staat wenden und Anzeige erstatten.
Und dann einen Mechanismus in Gang setzen, wo das geahndet wird oder künstlich verhindert.
Schauen wir nochmal auf Baumanns Theorie auch. Für ihn ist die Moderne durch die ständige Anstrengung, Ambivalenz auszulöschen gekennzeichnet.
Sehen Sie dieses Argument auch? Das sehe ich nicht in dieser Eindeutigkeit und Radikalität.

[26:28] Wenn man etwa sieht, darüber haben wir eben gesprochen, dass Religionen und Konfessionen auf den zweiten Platz gestellt werden, gestellt werden oder überhaupt auf einen Platz weiter hinten gestellt werden, ist also dieser Druck, dass die Leute das Gleiche glauben sollen, bzw. demonstrieren, keiner weiß, was die Leute glauben, aber demonstrieren, dass sie alle konform miteinander gehen und dieselben Kirchgänge machen, dieselben Feiertage einhalten und sich beschneiden.
Das ist nicht mehr der Fall, das hält man aus. Also insofern ist da schon eine Ambivalenztoleranz gegeben.
Andererseits gibt es, und darauf bezieht sich Bauman, Fantasien einer Gesellschaft, der es gut geht, weil sie konform ist.
Weil bestimmte Unterschiede, die als hässlich empfunden werden, als die Normalität, den alltagsstörend, nicht unbedingt ausgemerzt werden, aber weg erzogen werden.

[27:45] Das ist zweifellos richtig an ihres Baumannsverdienst, darauf hingewiesen haben, dass man Vielen Dank für das Zuhören!
Dinge, die in unseren Ohren einen guten Klang haben, wie bestimmte Aspekte der Aufklärung, man auch unter diesem Aspekt betrachten, sollte das da Fantasien von Gleichheit im Sinne von Gleichmachen und Unterschiede unter Drücken drinstecken.
Und Bauman beobachtet ja auch, wie Sie gerade schon gesagt haben, eine Verschiebung im Umgang mit Ambivalenz.
Es ist nicht alles nur einsortieren, kategorisieren und gleich oder konform machen, sondern er sagt, dass moderne Gesellschaften immer öfter die Ambivalenz als unumgängliche Tatsache akzeptieren und darin sieht er auch einen grundlegenden Wandel von Gesellschaften.
Ja.
Beobachten Sie auch einen Wandel, zum Beispiel jetzt in der deutschen Gesellschaft, allerdings mit Blick auf den Umgang mit Gewalt oder eine Neudefinition der Zonen der Gewalt?
Das würde ich nicht sehen. Ein anderer Umgang mit Amivalenzen, mit unterschieden ganz gewissen. Es hat natürlich die erste Hälfte des, 20. Jahrhunderts einen großen Schock mit sich gebracht. Man ist ja eben nicht…

[29:10] Der Nationalsozialismus ist untergegangen, der Stalinismus ist überwunden worden, der auch diese gleichmacherischen und ambivalenzintoleranten Fantasien produziert hat. Und das war die große historische Chance, die dann auch schon teilverwirklich ist. Also die Gesellschaft, die wir vor uns haben, wenn.

[29:36] Wir die vergleichen mit den 50er Jahren etwa, ist ungleich bunter und problematisiert Lebensstile wesentlich weniger als sie das getan hat. Auch wenn in einer gegenwärtigen Diskussion zumal der Eindruck aufkommt, die Gesellschaft hier, in der wir uns befinden, sei ausgesprochen rigide oder würde wieder rigide werden und ungeheuer viel nicht tolerieren. So ist das immer ein ganz normaler Prozess, wenn sich Probleme gelöst werden, sieht man an die Stellen, wo die Probleme noch weiter existieren, die sieht man besonders, überportiert. Also im Grunde sind diese Debatten, was alles noch im Argen liegt, auch Indikatoren dafür, dass man eigentlich auf einem ganz guten Wege ist. Also ein wirklich, Ein grandioses Beispiel ist doch die Debatte um Transgender, Selbstdefinition von Zugehörigkeit.

[30:50] Kommt auf, nimmt Fahrt auf und eine gewisse Radikalität und das Gesetz ist plötzlich da, wie immer man zu ihm steht, ob es dem einen zu weit geht, dem anderen nicht weit genug, das gehört immer zu solchen Gesetzen.
Aber wenn man sich überlegt, wie lange es gedauert hat, bis etwa Homosexualität zu, einer gesellschaftlichen Normalität, dass man einen homosexuellen Außenminister hat sondern das keinem Menschen interessiert. Wenn man das vergleicht mit den Debatten um die Strafrechtsreform in den 60er Jahren und den § 175, dann sieht man das Tempo, in dem, solche Problematisierung, öffentliche Problematisierung und die Art und Weise, wie dann dem Gesetzgeber eine Rechnung getragen wird, wie sich das Tempo erhöht. Das ist also ein wirklich ausgesprochen gutes Beispiel für Baumanns These von der postmodernen Ambivalenztoleranz.
An dieser Stelle machen wir einen Cut und steigen in Teil 2 wieder ein mit noch mehr, Praxisbeispielen aus der Gegenwart und der Frage, wo wir eigentlich hinkommen, wenn, wir die Gedanken von Bauman weiter denken.
Bis dahin.

[32:09] Music.

Teil 2:

Transkript

[0:01] Hallo und herzlich willkommen! Dies ist ein Podcast von SoziologInnen an der Universität Potsdam.

[0:07] Music.

[0:14] Heute für Sie und Euch am Mikrofon ist Sabrina Arneth. Hallo, ich bin Sabrina Arneth und wir steigen jetzt wieder ein in das Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma.
Wir werden noch einige Fragen rund um die Bedeutung von Gewalt und Ambivalenzen in der Gegenwart diskutieren, diskutieren, zum Beispiel um die Rolle der Wissenschaft oder von Nationalstaaten.

[0:35] Zum Schluss wird es auch kurz um die Frage nach Utopien im Angesicht der sogenannten multiplen Krisen allen voran der Klimakrise gehen.
Also, los geht's! Schauen wir nochmal in Richtung Gewalt und staatliches Gewaltmonopol.

[0:54] Da gab es jetzt in letzter Zeit auch einige Phänomene, wie zum Beispiel die zunehmende Kontrolle des öffentlichen und halböffentlichen Raumes durch private Sicherheitsfirmen, welche zum Beispiel auch beim Versuch der Durchsetzung der staatlichen Corona-Maßnahmen einen weiteren Schub erfahren haben, also weiter ausgeweitet wurden, die Etablierung von teilprivatisierten Gefängnissen in mehreren Bundesländern und zum Beispiel auch die recht erhebliche Zunahme von zivilen kleinen Waffenschein seit 2016. Da könnte man meinen, wenn man sich diese Entwicklung anschaut, dass sich aktuell eine leichte Tendenz in Richtung Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols abzeichnet.
Man könnte davon sprechen, dass sich der Kreis von Akteuren mit Gewaltlizenz ausweitet. Das heißt, dass die Personengruppe, die legitim Gewalt anwenden darf, anwächst und weniger scharf umrissen ist. Wie, ordnen Sie diese Bewegung vor dem Hintergrund ein, über den wir gerade gesprochen haben? Ich würde zunächst einmal sagen, dass man sich das etwas genau angucken muss. Ob diese jetzt von Ihnen zu Zwecken des Gesprächs, der pointiert ausgesprochenen These, eigentlich wirklich so zutrifft. Kann man wirklich sagen, zunehmende Kontrolle des öffentlichen Raumes durch private Organisationen mit Gewaltlizenz. Ist das wirklich so?
Natürlich gibt es.

[2:16] Wünsche, dass Leute, die sich das leisten können, private Sicherheitsfirmen beschäftigen.
Das war immer schon so, aber dass die dann raum mal einen kleinen Stadtteil mit abwiedeln und kontrollieren.
Also gewisse Maßen aus den öffentlich-staatlich Kontrollierten herausnehmen.
Da wo das passiert ist, ist das eine Aufweichung.

[2:42] Und wenn etwa solche privaten Sicherheitsfirmen legalerweise Gewalt ausüben dürfen, in einer Weise die staatliche Organisation nicht dürfen und nicht legitimiert sind und tatsächlich mit diffusen Lizenzen ausgestattet wären, also lassen Sie mich das im Konjunktiv formulieren, Dann wäre das tatsächlich eine Aufweichung und dann wäre es eine sehr problematische Entwicklung, die ich für gefährlich halte.
Wenn es private Gefängnisse gibt, finde ich die Privathalt an solche noch nicht das entscheidende, sondern die Frage ist, gelten für private Gefängnisse andere Regeln und andere Kontrolle. Darf in diesen Gefängnissen etwas geschehen, was in staatlichen Gefängnissen nicht geschehen darf. Das wäre für mich der entscheidende Punkt. Und ist die Kontrolle in privaten, private wirtschafteten Gefängnissen eine andere als in staatlichen? Wenn ja, wäre es eine solche von Ihnen beschriebene Aufweichung und eine äußerst problematische Entwicklung, die ich jederzeit kritisieren kann.

[4:09] Sie schreiben an einer Stelle, Vertrauen erträgt weder Ambivalenz noch Unklarheit.
Über das soziale Vertrauen haben wir eben schon gesprochen.
Sie erläutern dann weiter, dass soziales Vertrauen in sozialen Praxen hergestellt wird, und wir uns permanent gegenseitig darüber versichern, dass es in etwa so weitergehen wird. Sie haben es eben schon mal erläutert, die Kommunikation über den Normalfall.
Was meinen Sie mit diesem eben zitierten Zitat?

[4:35] Damit meine ich Folgendes. Ich kann nicht ein bisschen vertrauen. Wenn ich nur ein bisschen vertraue, dann vertraue ich eben nicht. Ich kann nicht sagen, ich bin in den und den Situationen sicher. Ja vielleicht. Schauen wir mal. Dann bin ich es eben nicht.
Situationen der Unsicherheit wiederum müssen definiert sein und von mir antizipiert werden können. Ich bin in der Öffentlichkeit sicher. Ich weiß aber ab 24 Uhr in bestimmten Räumen der Stadt ist es gefährlicher als in anderen.
Das gehört zu meinem Sicherheitskonzept und zu meinen Normalitätsunterstellungen, dass ich das weiß und mein Leben darauf ausrichten kann.
Wenn ich alle Türen in meiner Wohnung offen lasse und ich werde ausgeraubt und ich rufe die Polizei, dann sagt die, wieso haben sie nicht abgeschlossen?
Also ich muss was dafür tun. Insofern, da ja auch das soziale Vertrauen etwas ist, was nicht bewusst stattfindet, sondern unbewusst in unserem Verhalten.
Und wenn ich sage, wir versichern uns gegenseitig, dann meine ich ja nicht, dass wir uns, bevor wir Kontakt miteinander aufnehmen, Versicherungen abgeben, was geschehen wird oder nicht, sondern dass wir durch unser normales Benehmen, Sie signalisieren, dass wir selber die selbe Normalitätsunterstellung haben.

[6:01] Insofern tun wir, und das finde ich ein ganz soziologisch interessantes Aspekt, wir tun permanent eine ganze Menge, um unsere Normalität aufrechtzuerhalten.

[6:12] Das meine ich mit sozialen Praxen, die sind nicht, die sind beschreibbar, aber ihre Akteure sind sich dieser Praxen nicht bewusst.

[6:22] Und wenn diese Praxen über die Normalität, also auch die Kommunikation über den Normalfall, wenn die hypothetisch immer uneindeutiger werden würde, was würde dann passieren?

[6:39] In einem Extremfall, aber da muss ungeheuer viel passieren, kann eine Gesellschaft zerfallen.
Das ist in der Geschichte ungeheuer selten passiert.
Das ist passiert auf einigen Inseln der Karibik, wo die Menschen den Schock des Erscheidens der extrem gewalttätigen spanischen Konkistadoren einfach nicht.

[7:07] Sie konnten ihr Leben dann nicht darauf einstellen. Normalerweise orientiert man die Normalitätserwartungen um.

[7:17] Man integriert das Neue in die eigenen Erwartungen. Ich weiß dann, ich muss mir vielleicht eine Waffe anschaffen.
Dann wird zu meinen Normalitäten gehören, dass ich mich dessen versichere, dass die Waffe geputzt ist, geladen ist, funktioniert und so weiter.
Völlig irre Vorstellung für unseren Alltag heute.
So kann sich Normalität ändern. Und ich kann mich darauf einstellen und ich kann die Modi meines sozialen Vertrauens umorientieren.
Als Mitglieder der Roten Armee Fraktion bei Leuten auftrassen, die Genossen von vor einigen Wochen oder Monaten waren, Und etwa jemand wie Andreas Baader stolz seine Pistole auf den Tisch legte, sagte, bist du wahnsinnig.
Und er signalisierte, dass er einer anderen Normalität angehörte, dass er für sich und die Gruppe entschieden hatte, sie sind im Krieg.
So war ja auch ihre Legitimationsrhetorik vor Gericht. Und die anderen sagten, das ist ja widerlich, das ist waffenfetisch.

[8:39] Sie lebten in unterschiedlichen Definitionen, in welcher gesellschaftlichen Normalität man sich eingegangen befindet.
Das traf aufeinander.

[8:50] Sie hatten mir im Vorgespräch erzählt, dass Sie ein soziales Rahmenvertrauen in die Gewaltlosigkeit der Interaktion in den allermeist Lebensbereichen für eine Grundlage halten, auf der sich die Ambiguitätstoleranz, über die wir auch eben schon gesprochen haben, erst ausbilden kann.
Ein Beispiel, über das wir auch gesprochen haben, eben schon sind die sich ausdifferenzierenden Geschlechterdarstellungen.
Aufgrund derer wird es dann in den sozialen Interaktionen etwas schwieriger, das Gegenüber schnell oder zweifelsfrei einer Geschlechtskategorie zuzuordnen.
Was man dann in der Geschlechtersoziologie Misslingen der Attributionen nennt, die Irritation verursachen.
Und ich frage jetzt mal in die andere Richtung, kann das soziale Rahmenvertrauen auch an Stellen irritiert oder abgebaut werden, die erstmal wenig mit Gewalt oder dem staatlichen Gewaltmonopol zu tun haben?
Also ähnlich wie wir gerade gesprochen haben. Ja, aber das Interessante ist doch, dass sich eine Normalität erstellt, in der solche, ja misslingenen Attributionen, wie sie sagten, dass das vielleicht nichts macht, dass das mit einem…

[10:06] Eine falsche Ansprache etwa, ich spreche sie an als Frau oder wie man so sagt, inkludiere sie in dieser Weise und sie beschweren sich und dann bin ich nicht.
Und ich sage, wusst ich nicht, Entschuldigung. Und damit ist möglicherweise die Sache erledigt.
Dann gelingt auf eine vorbildliche Weise die Kommunikation. Kann sein, dass sie mitlingt, kann sein, dass sie gekränkt sind und dieses für einen aggressiven Sprechakt von mir halten.
Oder müssen wir uns etwas länger damit beschäftigen und sagen, so war das nicht gemeint. Aber das sind doch Beispiele auch da, wenn es schwierig wird, dass es gelingt, dass diese Gesellschaft mit diesen Ambivalenzen klarkommt. Immer ein paar Jahrzehnte zurück, dann wären diese Kommunikationen vollständig andere. Also das heißt, diese Gesellschaft macht Fortschritte in sich. Das denke ich nicht von der Hand zu reiben.

[11:11] Sie fragen jetzt, wie sind bestimmte Irritationen beschaffen, die solche Vertrauensumorientierungen, weiter. Ich bleibe ein bisschen dabei, dass ist, dass die Frage der Gewalt in der Öffentlichkeit und in der persönlichen Interaktion der Kern dessen, was die moderne Normalität ist, ausmacht und das alles andere insofern dran hängt, dass es die Basis davon ist, dass das andere gelingt. Das ist der Grund weshalb ich das in den Vordergrund schiebe. Wenn da etwas schief geht, führt es zu gravierenden Erschütterungen oder gravierenden Umorientierungen. Dann haben wir von.

[12:00] Heute auf morgen eine wirklich andere Gesellschaft, wie das 33 passiert ist, da hatte man von heute auf morgen eine in diesem entscheidenden Moment, alles andere lief oft weiter, in diesem entscheidenden Moment eine andere Gesellschaft. Weil das, wo das nicht in Frage gestellt wird, gibt es Modalitäten, mit veränderten Normalitäten umzugehen. Und ich sehe nicht, wo solche doch im Grunde ganz wuchtigen Neuigkeiten, wie das man sein Geschlecht selbst definiert, sei der Gender-Zugehörigkeit entweder ganz besonders signalisiert nicht signalisiert und darin die Kohorte sieht, das ist ja doch, wenn man das historisch hinten, eine ziemlich dramatische Veränderung und dafür ist das, was in der Öffentlichkeit passiert, ungeheuer wenig Dramat.
Also tatsächlich komme ich immer wieder auf das Problem der Gewalt als der Basis zurück.
Das ist, vielleicht würden Sie das als professionelle Depommation ansehen.
Damit habe ich mich nochmal sehr viel beschäftigt.
Aber ich glaube nicht, also wenn wir darüber jetzt ein Streitgespräch führen würden, würde ich das sehr verteidigen.

[13:20] Insbesondere zu Beginn der Covid-19-Pandemie standen die Wissenschaften so sehr im Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit wie lange nicht mehr.
Die Grenzen der wissenschaftlichen Methoden und die Flüchtigkeit der Erkenntnis wurden von einem großen Teil der deutschen Gesellschaft ganz gut ausgehalten.
Ja.
Von einem kleinen und lauten Teil jedoch nicht besonders gut?
Ja.

[13:43] Ich verstehe Sie so, dass Sie auch wie Bauman die Tendenz sehen, dass Ambivalenz und Unbestimmtheit zunehmend besser ausgehalten wird? Ja.

[13:54] Okay. Man kann dazu vielleicht noch etwas sagen. Ich habe beobachtet, aber nicht erst bei diesen Corona-Debatten, dass viele Vertreter der, Wissenschaft öffentlich ausgesprochen und ungeschickt argumentieren.
Nun ist das ja auch nicht ihre Aufgabe.
Da sind sie auch nicht trainiert. Aber es gehört ein bisschen zu der Tendenz, dass Wissenschaften immer sehr viel versprochen haben.
Also in den 50er Jahren war es die Physik, die sagte, wir werden durch die Entwicklung der Kernenergie und der, also verschiedener Form der Kernenergie, Spaltung und Fusion, den Welthuor in Kürze beseitigt haben.
Die Gentechnologie, die sagte, wir werden alle Erbkrankheit und so weiter und so weiter.
Die Wahrheit war ein bisschen großsprecherisch, was sicher auch damit zu tun hatte, dass man eben Geld braucht für das, was man tut.
Und Wissenschaft ist teuer und man braucht Leute, die in Versprechungen glauben.
Aber das Problem war, die haben es ja selber geglaubt.

[15:08] Und viele Vertreter der Wissenschaften tun sich sehr schwer damit zu sagen, tja, wir uns auch und unsere antizipatorischen Fähigkeiten sind extrem begrenzt wie überhaupt alle antizipatorischen Fähigkeiten und Wissenschaft bedeutet, immer Hypothesen bilden und immer unsicher zu sein und bei jeder wissenschaftlichen Entdeckung ist die Menge dessen was wir nicht wissen, gewachsen. Die Menge dessen was wir wissen ist um einen Bruchteil gewachsen und die Menge dessen was wir jetzt klarer sehen, dass wir es nicht wissen unendlich viel mehr. Das ist sehr schwer öffentlich zu kommunizieren.
Vielleicht passend dazu?

[15:51] Bauman hat geschrieben, Kontingenzen und Ambivalenzen zu akzeptieren bedeutet zu wissen, dass die Reise kein klares Ziel hat und trotzdem die Reise fortzusetzen.
Das ist eine Herausforderung, oder?
Das ist eine Herausforderung, aber beschreiben wir ein öffentliches Bewusstsein von dem, was wir so sind, eigentlich richtig mit Reise.
Man kann das machen oder ich kann das machen oder sie können das machen und dann müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir das genau verstehen.
Dass wir uns da und dahin bewegen oder hoffentlich da und dahin bewegen.

[16:30] Zweifellos ist richtig daran, dass vor moderne Gesellschaften sich selber für Staate schielen. Und das zur Moderne gehört, ein Bewusstsein und eine Akzeptanz.

[16:43] Der Veränderung der Gesellschaft. Dann gab es immer Phasen, wo vor allen Dingen politisch das Bewusstsein da ist.
Man ändert etwas grundsätzlich und man ist auf dem Weg, das kann man auch sagen, wo man hin will. Französische Revolution und ehrliches nicht.
Russische Revolution. Da war dieses Bewusstsein der politische Taktgeber.
Wenn wir uns jetzt umsehen, haben wir eigentlich das Gefühl, wir seien wir, damit meine ich, nicht uns beide, sondern die Gesellschaft, um etwas schwierig so zu reden. Ich glaube nicht. Ich glaube es gibt eher eine gewisse Angst vor Fall.

[17:23] Ich glaube, ein großer Unterschied zu den Beispielen, die Sie jetzt gerade genannt haben, ist, dass die Menschen ein Bewusstsein dafür hatten, dass sie gemeinsam Veränderungen in dem Sinne, wie sie es für gut erachten, erreichen können, während vielleicht heute eher auch externe Faktoren dieses Bewusstsein überschatten.
Also ich denke natürlich vor allem an die Klimakrise. Diese positive Vision einer besser werdenden Zukunft, also spätestens jetzt ist der Punkt, wo die nicht mehr existiert.
Oder zumindest dadurch, ja Sie hatten gesagt, überschattet wird.
Also auch gesellschaftliche Ziele, die im Prinzip für die Akzeptanz man werden kann, die dann auf das Aber stoßen.
Das wird alles hinfällig, wenn die Klimakrise sich verschärft.
Und insofern sollte man sich auch keine großen Gedanken darüber machen.
Ich würde immer sagen, das große Ziel, wo man sich auf dem Wege dahin begreifen sollte und Politik daran messen, ob sie auf dem Wege dahin ist, ist die Abschaffung der Armut.

[18:30] Da kann jemand widersprechen und sagen, schon richtig. Aber zunächst müssen wir sehen, dass wir den CO2-Ausstoß reduzieren.
Das wird auch darauf Auswirkungen haben. Das hat auch alles Auswirkungen.
Deshalb hat es absolute Priorität. Dagegen ist nicht so viel zu sagen.
Aber übrigens praktisch dann sehr viel. Es bricht ein Krieg aus und das ändert die politischen Prioritäten.
Das können wir jetzt nicht diskutieren.
Ein Modus, wo wir über Zukunftsvision sprechen, ein Modus des einigermaßen gelingenden Zusammenlebens könnte laut Bauman ein Leben in Solidarität sein, in Anerkennung und Wertschätzung der Differenzen zwischen den Menschen.
Sie haben argumentiert, dass das soziale Vertrauen in die Gewaltlosigkeit der Gegenwart und Zukunft, die Basis für ein solches Leben darstellen muss.

[19:23] In der Moderne gehörten zu der Gewährleistung dieses Vertrauens auch die Kontrolle und Begrenzung durch einen Nationalstaat, durch das staatliche Gewaltmonopol.
Und nun gibt es auch alle handberechtigte Kritik an eben diesem Gewaltmonopol, ebenso wie an dem Konzept des Nationalstaates.
Worauf könnte eine postmoderne Kultur der Gewalterversion aufbauen?
Sehen Sie da Alternativen?
Also erstmal sind wir in einer solchen Kultur. Wir sind ja keine gewaltfreundliche Kultur.
Zweitens bleibe ich dabei, dass dieses eine Basis ist für den Rest.
Das nimm ich dann noch zu sagen der Veranstaltung.
Wenn das nicht gewährleistet ist, dann wird alles andere ebenfalls massiv in Frage stehen.

[20:15] Jetzt bin ich ein bisschen, jetzt geben Sie mir das nächste Stichwort.
Ich frage nochmal nach, Nationalstaaten unterteilen immer in einen Innen- und Außen?
Eigentlich müsste man denken, wenn sich die Ambivalenz-Acceptanz weiter ausweitet, würde sich der Nationalstaat auflösen. Die Unterscheidung nach Innen- und Außen wäre nicht mehr notwendig.
Das könnte mit der Unsicherheit und der Unbestimmtheit der Menschen, die auf einem bestimmten Raum leben, umgegangen werden.
Gesellschaftsstrukturen würden sich umorganisieren.
Das habe ich jetzt ganz weit innen zu Ende gedacht. Gut, wir sprechen jetzt ein bisschen über Utopien.
Richtig. Das macht nichts. Der Weltstart war immer eine schöne Utopie, nicht in einem abwertenden Sinne gemeint.
Dagegen stand immer der Einwand, soziale Zusammenhänge müssen überschaubar bleiben.
Das ist nicht derselbe Einwand, wie Gleichartige müssen zusammengehören.
Wir können doch mit der afrikanischen Kultur nicht einen Weltstaat bilden oder so.
Das ist ein ganz anderes Argument.

[21:25] Im 18. Jahrhundert sagte man, Demokratie oder Republiken sind gut und schön.
Die funktionieren in der Faiz, in Bern.
Aber sie funktionieren natürlich nicht in Frankreich. Wie denkt sich denn sowas aus?
Es hat aber funktioniert. Also warum sollte ein Weltstaat nicht funktionieren?
Im Augenblick sind wir da wohl eher skeptisch. Tatsächlich wegen der Unwahrscheinlichkeit, dass Auffassungen von Religion, von Geschlechtern, von diesbezüglicher Normalität, die so differenz sind auf unserem Globus, einem Weltstaat normativ vereint werden können. Wie soll das aussehen? Kann man nur so mit den Schultern zuhören.
Aber die Europäische Union hat den Nobelpreis bekommen, den Friedensnobelpreis.
Alle haben immer darüber gelacht. Ich fand das so schlecht. Ich will Ihnen sagen warum.
Mein Sohn, der jetzt 40 ist, dem habe ich irgendwann mal erzählt, dass für meinen Vater die Idee, dass Frankreich der Erbfeind sei.
Nicht, dass er selber dieser politischen Auffassung war, aber er war in die Selbstverständlichkeit hineingewachsen.
Mein Sohn guckte mich an und sagte, was erzählt er mir da?
Der erzählt mir wie etwas wie aus dem Mittelalter. Und ich sage, ist das nicht ein grandioser historischer Fortschritt?
Dass Leute das nicht mehr begreifen?

[22:51] So, also das was mit der Montanunion nach 45 begonnen hatte, nämlich ein vorsichtiger, wirtschaftlicher, nicht politischer Zusammenschluss, hat dazu geführt, dass Grenzen in Europa, jedenfalls in West- und Mitteleuropa, eine ganz andere, völlig andere Rolle spielen, als sie das in all den Jahrhunderten vorher getan haben.
Das heißt, es gibt Schritte über den Nationalstaat hinaus.
Wo das, wo die Reise, hingeht, hingehen kann, kann ich Ihnen genauso wenig beantworten wie irgendwer sonst.
Man kann nur sagen, es gibt einen großen Schritt über den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts hinaus.
Und das ist eine ungeheuer gute, positive und friedenstiftende Entwicklung.
Gleichwohl die Idee, dass etwas wie ein Weltstaat in greifbarer Nähe sind, ist utopisch im negativen Sinne.
Das heißt, das ist ein Wappen Kuckuckshein. Das ist es vielleicht in ein paar hundert Jahren nicht mehr.
Das wissen wir überhaupt. Was in ein paar hundert Jahren sein wird, wissen wir nicht.
Und wir wissen, wie das 20. Jahrhundert hat es uns gelehrt, das 21. auch, wie schnell sich die politischen Verhältnisse ändern können.
Was immer wir für Prognosen machen, das einzige, was wir sicher sein können, ist, dass es ganz anders kommt.

[24:18] Und zwar auf eine Weise, nicht nur ein bisschen anders die Hoffnung, sondern auf eine so unerwartete Weise, dass wir uns die Augen treiben werden.
Das ist nicht unbedingt erfreulich. Gibt es noch irgendetwas, was Sie ergänzen wollen?
Nein, ich bin, ich glaube, ich habe alles gesagt, was Sie mich gefragt haben.
Dann bedanke ich mich für das Gespräch und empfehle allen Zuhörenden zu vertiefenden Lektüren nochmal die Bücher von Jan Philipp Reemtsma und auch Zygmunt Bauman.
Alle Informationen dazu finden sich in der Beschreibung dieser Podcast.

[24:53] Vielen Dank.

[24:54] Music.

Zum Weiterlesen:

Reemtsma, Jan Philipp. 2013. Vertrauen und Gewalt: Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg: Hamburger Edition.

Bauman, Zygmunt. 2005. Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Übersetzt von Martin Suhr. 1. Auflage. Hamburg: Hamburger Edition.

Sabrina A. Arneth

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das:
search previous next tag category expand menu location phone mail time cart zoom edit close