So oder ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses Josef Hecken in einer Gremiensitzung 2013, als Antwort auf die Forderung nach mehr Kassensitzen für Psychotherapeut*innen. Vielleicht sprach er auch von einer Flasche Bier, statt eines Chatbots, hätte er aber genauso gut tun können, scheint doch eben dies die Agenda der deutschen Gesundheitspolitik der letzten Jahre treffend widerzuspiegeln.
Von sogenannter „E-Health“ bzw. „E-Mental Health“ wird gerne gesprochen. Der Verlagerung medizinischer und therapeutischer Dienstleistungen ins Digitale. Sei es durch Videosprechstunden, digitale Akten oder eben auch Apps und Chatbots. Ein wichtiger Schritt für dieses Digitalisierungsprojekt war das im Dezember 2019 in Kraft getretene „Digitale-Versorgungs-Gesetz“. Damit sollen nicht nur Videosprechstunden und elektronische Akten alltäglicher werden, sondern auch Apps und Chatbots von Ärzten verschrieben werden können, deren Kosten dann die Krankenkassen übernehmen.
Apps und Chatbots statt Psychotherapie als Zukunftsperspektive, so mag es klingen. Das ist bei näherer Betrachtung nicht unbedingt der Fall und doch hinterlässt das Ganze einen bitteren Beigeschmack, angesichts der chronischen psychotherapeutischen Unterversorgung in Deutschland. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie, durch die 2021 die Anfragen für eine Psychotherapie um ca. 40 % im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Aktuell fehlen rund 2.400 Kassensitze (das sind die, bei denen die Krankenkasse eure Therapie übernimmt) für Psychotherapeut*innen, um eine ausreichende psychologische Versorgung in Deutschland gewährleisten zu können. Je nachdem wer gefragt wird, sollen Apps und Chatbots hier Abhilfe schaffen oder eben nicht. Denn während einige überzeugt davon sind, dass solche digitalen Angebote tatsächlich einen Teil des Bedarfs decken und so eine Psychotherapie obsolet machen könnten, gestehen andere diesen Apps höchstens eine unterstützende Rolle in einer klassischen Psychotherapie zu.
Wer sich einmal die Zeit nimmt durch den App-Store zu scrollen, findet allerhand Angebote. Sei es Apps für Meditations- und Achtsamkeitsübungen, Gefühlstracker, Ernährungskalender für Menschen mit Essstörungen oder ganze „Online-Therapieprogramme“. Die Ansätze sind unterschiedlich, das Versprechen immer das Gleiche: Am Ende fühlt sich der*die Konsument*in besser. Und tatsächlich: Studien zeigen, dass solche Apps in der Tat zur Linderung von Angst- und Depressionssyptomen beitragen können. Jedoch lässt sich diese Aussage nur mit einem großen ABER aussprechen. Denn dies gilt nur bei leichteren Erkrankungen und konnte bisher auch nur für kurzfristige Untersuchungszeiträume beobachtet werden. Menschen mit schwere Depressionen werden dabei gerne mal aus den, von den Unternehmen in Auftrag gegebenen, Studien außenvorgelassen. Zudem liegt die vorzeitige Abbruchsrate bei unbegleiteter Verwendung solcher Apps bei gut 78 %. Wirklich hilfreich könnten diese Apps nur in Kombination mit einer Psychotherapie sein. „Es gibt keine Online-Psychotherapie“ so der Psychologe Gunnar Schwan, der für Stiftung Warentest verschiedene „Therapie-Apps“ untersucht hat. Psychotherapien könnten durch keine App ersetzt werden.
Nun hat eine Meditations- oder Gefühlstracker-App sicher nicht den Anspruch Depressionen und Angststörungen zu heilen und schon gar nicht im Alleingang. Die „Online-Therapie“ Apps schlagen da schon einen ganz anderen Ton an. Die App des zweitgrößten Pharmaunternehmens Frankreichs SERVIER „deprexis“ beispielsweise wirbt damit, durch simulierte Gespräche mit der App, aufmunternde Worte, sowie Tipps und Tricks die eigenen Depressionen bekämpfen und ein „neuer Mensch“ werden zu können. Auf der Startseite erklärt uns, nebst eines Heilpraktikers, Frau Dr. K aus B. (wer auch immer das sein soll), dass die App „[…] 1:1-Interaktion zwischen Patient und Therapeut authentisch […]“ nachbilden könne und das dann auch noch 24/7 bequem aus der Hosentasche heraus. What a time to be alive. Zwar weist das Unternehmen auch daraufhin, dass die App keinen Ersatz für eine richtige Therapie anbieten würde (das hat vor allem juristische Gründe), von der unglaublichen Heilwirkung des eigenen Produktes ist das Unternehmen dennoch überzeugt.
Und dann wären da noch die Therapie-Chatbots. Klingt wie aus der Zukunft, aber tatsächlich gab’s den ersten Therapiesimulations-Algorithmus „Eliza“ bereits 1966. Könnt ihr hier mal ausprobieren. Chatbots wie „Woebot“ oder „Wysa“ tun genau das. Sie chatten mit uns, erkundigen sich wie es uns geht, stellen, aufbauend auf unseren Antworten, Nachfragen und geben uns Tipps und gute Worte mit auf dem Weg. Zwischendurch gibt’s auch mal eine gemeinsame Achtsamkeitsübung. Alles angeblich basierend, auf Verhaltenstherapeutischen Ansätzen und Algorithmen, die unseren digitalen Freundn lernen lassen, so dass er sich an unser Schreibverhalten anpasst und sogar „Insider-Witze“ machen kann. Der Umfang der verwendeten Verhaltenstherapieansätze schwankt jedoch enorm. Aber hat ja auch niema* gesagt, wie hoch der Anteil sei. Doch obwohl sowohl die psychotherapeutische Methodik der Chatbots, als auch deren Wirksamkeitsevidenz, fragwürdig sind oder gar fehlen, erfreuen sie sich an Höchstwertungen in den Appstores. Dann kann’s doch eigentlich nicht schaden oder?
Vermutlich tun sie das auch nicht, zumindest nicht auf individueller Ebene. Doch diese Apps und Chatbots bringen eine ganze Reihe an Problemen mit sich. Angefangen damit, dass sie als Lösung für ein strukturelles Problem angesehen werden, das ganz woanders liegt. Nämlich bei der psychotherapeutischen Unterversorgung durch fehlende Kassensitze (deren Bedarf übrigens an einer Maßzahl bemessen wird, die von 1990 stammt). Dabei geht es noch gar nicht um den illusorischen Gedanken, dass solche Apps Therapien ersetzen könnten. Stattdessen wird mit einer Teilauslagerung der Therapiesitzungen auf Apps argumentiert, wodurch weniger Face-to-Face Termine benötigt werden würden, was wiederum den Therapeut*innen die Möglichkeit gäbe mehr Patient*innen aufzunehmen. Da steckt also ein simpler Effizienzmaximierungsgedanke dahinter. Des Weiteren muss auch kritisch beäugt werden, dass die angepriesenen Apps und Chatbots von Privatunternehmen stammen. Sie sind also untrennbar mit einer Profitabsicht verstrickt und stellen einen weiteren Schritt in die Privatisierung der Gesundheitsversorgung im Wohlfahrtsstaat dar. Ob das wünschenswert ist, muss sich jede*r selbst fragen. Und zu guter Letzt wäre da noch die Sache mit den Daten. Die Apps und Chatbots fallen nicht unter das Gesetz der Schweigepflicht. Das heißt eure Daten dürfen verarbeitet und weiterverkauft werden. Und oh Wunder, das geschieht auch. Könnt ihr euch ja überlegen ob ihr Lust habt, dass Werbekonzerne euer Nutzungsverhalten von „Therapie“-Apps nutzen, um euch die richtigen Sneaker in eure Instagramtimeline zu spülen.
Was bleibt? Nicht viel Gutes. Was bedauerlich ist, denn sicherlich können Apps eine sinnvolle Unterstützung in Psychotherapien darstellen. Apps mit Achtsamkeitsübungen oder zum Dokumentieren der eigenen Gefühlslage sind letzten Endes nichts weiter als die digitale Fortsetzung bereits existierender Therapieübungen. Allerdings sprechen wir bei Depressionen und Angststörungen von einer so delikaten Angelegenheit – jährlich sterben ca. 800.000 Menschen an Depressionen – dass wir nicht leichtfertig an die Sache herangehen und das Feld schon gar nicht der Privatwirtschaft überlassen dürfen. Aber am aller wichtigsten: Apps und Chatbots können keine Therapeut*innen ersetzen. Die Schaffung neuer Kassensitze in Deutschland ist also unerlässlich, um den Menschen die dringend benötigte Unterstützung zukommen lassen zu können. Stattdessen werden Kassensitze zur Handelsware und teils für 100.000 € verkauft. Aber mit einem Gremienvorsitzenden, der den Leuten rät sich lieber einen anzusaufen, anstatt sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen, wird das wohl nicht so bald passieren. Darauf erstmal ein Bier, Prost.
Jakob Gustavs