Als die Corona-Pandemie nicht auf unser aller Tagesordnung stand, und auch noch keiner ahnte, was auf uns zukommen würde, saß ich eines Abends mit Freund*innen draußen im Park. Wir redeten im Konjunktiv über unseren baldigen Uni-Abschluss, darüber, was jede*r danach so machen würde. Ich kann mich ehrlich gesagt auch nicht mehr ganz erinnern, wie wir auf das Thema Digitalisierung im Arbeitsmarkt kamen: Aber plötzlich debattierten wir. Relativ schnell jedoch musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass die Mehrheit meiner Kommiliton*innen Digitalisierung der Arbeit mit etwas Positivem verknüpfte. Auf meine Nachfrage, ob sie nicht Angst hätten, dass moderne Technologien in Zukunft unsere Arbeit kontrollieren, wurde nur lächelnd abgewinkt und gesagt, man gehöre mit einem Uniabschluss ja nicht unbedingt zu der Arbeitsgruppe, die die Verlierer im digitalen Wandel darstellt. Sie waren nüchtern gesagt der Auffassung, dass die digitale Revolution den Arbeitsmarkt in lovely und lousy Jobs spaltet, in angenehme und nicht so angenehme Arbeitsplätze. Auf der einen Seite sahen sie u.a. uns, die Studierenden und zukünftigen Uniabsolventen, die digitale Dienste produktiv und selbstbestimmt nutzen, von ihnen profitieren und die Karriereleiter dadurch weiter und weiter hochklettern können. Auf der anderen Seite würden diejenigen stehen, die durch moderne Technologien panoptisch überwacht werden (Die ZEIT, 18.5.2020).
Die Umbrüche, die durch die Digitalisierung der Arbeitswelt entstehen und welche Folgen die Einführung moderner Technologien zur Kontrolle von Beschäftigten auf unterschiedlichen Positionen mit sich bringt, ist jedoch nicht nur ein Thema, welches wir Studierende diskutieren. Eine Reihe von Studien zeigt inzwischen, dass mittlerweile in sehr vielen Berufen datenreiche Systeme immer stärker den Takt vorgeben, jeden Arbeitsschritt tracken und in Echtzeit die Leistung messen (Backhaus 2018; Kellog et al. 2020; Schwemmle/Wedde 2018, Wood et al. 2019). Interfaces, Trackings und Ratings werden zu Elementen „eines neuen Dispositivs der Arbeitskontrolle“ (Staab 2019: 233). Ganz gleich auf welcher Arbeitsebene man sich in Organisationen befindet – Softwares, welche zur Gewährleistung administrativer Abläufe eingesetzt werden, dienen nicht nur der Datenverwaltung, sondern generieren und sammeln auch Daten zur Kontrolle und Leistung von Beschäftigten (SZ, 6.4.2020). Unerwünschtes Verhalten kann theoretisch direkt sanktioniert und unterbeschäftigte Mitarbeitende sofort ausfindig gemacht werden (Staab 2019: 235). So soll etwa die Software der Firma Workday, die eine „volle Kontrolle über die Mitarbeitenden“ verspricht, in Deutschland bereits in über 350 Firmen im Einsatz sein, darunter bei Airbus, Siemens und der Deutschen Bank (FAZ, 24.4.2017). Moderne Überwachungssysteme sind jedoch zunehmend darauf ausgerichtet, nicht nur „objektive“, im engeren Sinne arbeits- und arbeitsbezogene Daten zu erfassen, sondern auch sogenannte weiche Faktoren wie Empathie, Stressresistenz, Interaktions- und Kommunikationsverhalten. Soziometrische Applikationen wie der ‚Meeting Mediator‘ zeichnen auf, wer in Konferenzen das Gespräch dominiert, und sogenannte Mood- oder Sentiment Analytics messen emotionale Schwingungen im Laufe des Arbeitstages (SZ, 14.9.2015).
Diese Strategien von Unternehmen sind nicht ohne Risiko. Backhaus (2018) und Ayyagari et al. (2011) verweisen darauf, dass die elektronische Vermessung und Kontrolle der Arbeit größtenteils mit negativen Auswirkungen auf Arbeitszufriedenheit, berufliches Engagement und Stressempfinden einhergeht. Insbesondere bei komplizierteren Aufgaben, welche eher von Personen auf höheren Managementebenen ausgeführt werden, ließen sich diese negativen Auswirkungen beobachten. Forscher der Purdue University fanden heraus, dass elektronische Überwachung die Produktivität in den meisten Fällen beträchtlich hemmt (Der Standard, 6.12.2019). Stanton und Stam (2003) zeigen, dass elektronische Arbeitsplatzkontrollen sich unabhängig von der Position der Mitarbeitenden und den Aufgaben, die sie erledigen müssen, qualitativ negativ auf das organisationale Vertrauen und das Betriebsklima auswirken.
Dass also „nur“ der Paketbote von Amazon oder DHL, der 10 Stunden am Tag am besten in Blitzgeschwindigkeit Pakete in den fünften Stock im Altbau schleppen soll, panoptisch überwacht wird, ist eine naive Vorstellung der durchaus weitreichenderen Folgen von Digitalisierung am Arbeitsmarkt. Uns sollte klar sein, dass die digitale Ära neben Chancen auch weitreichende Risiken für jeden von uns als Arbeitnehmer*in mit sich bringt. Dass sich aber die Beschäftigen gegen eine umfassende digitale Kontrolle wehren können, zeigt das Beispiel der Firma Zalando, die nach der Einführung eines solchesn Systems massiv in die Kritik geraten ist (SZ, 21.11.2019).
Naomi Gänsler