Was macht eigentlich die Coronkrise mit den Suchterkrankten und Obdachlosen? Was sagt man immer? „Wer unten steht, leidet mehr.“ oder „Wir da drinnen, die da draußen.“
Vielleicht mögt ihr ja meinen erzählungen folgen – entlang der Skalitzer Straße bis in den Görlitzer Park. Ich habe ein paar Menschen getroffen, die von ihren Erfahrungen berichten.
Transkript des Audios anzeigen
Off-Sprecher Dies ist ein Beitrag von Felicitas Rösch zum Thema Sucht während der Coronakrise.
[Musik.]
FR Berlin. Heute ist der 10 Juni 2020. Ich habe die Straßenbahn genommen, die vor dem Görlitzer Bahnhof nochmal an Fahrt begonnen hatte. Eine kurze Zeit später quietschend in die Haltestelle einzufahren. Nehme den Ausgang und laufe die Treppenstufen hinauf, dann ein paar Schritte geradeaus, vor dem Kiosk nach rechts und über die Ampel auf die andere Straßenseite.
Friedrichshain-Kreuzberg. Friedlich. Die Sonne scheint. Langsam laufe ich die Skalitzer Straße entlang in Richtung des Parks. Vor kurzem war sie noch leer und ruhig, ungewöhnlich ruhig. Vor kurzem stand die Welt still. Noch nie habe ich das erlebt, irgendwie schien es mir, die Welt würde immer weiterlaufen, die Welt werde immer schneller werden, als könne sie nicht stehen bleiben.
Dann plötzlich das Corona Virus und Ausnahmezustand. Schließende Grenzen. Ausgangsregelungen und jetzt alles wieder Alltag?
War es nicht der Musiker PR Cantante, der über den Görlitzer Park ein Lied sang, eine Liebeserklärung. Seit 1866 wurde das Gelände als Bahnhof benutzt. Aktuell hat er viele Funktionen: Freizeitpark, Drogenumschlagplatz, Wohnungsraum.
Aber was macht eigentlich die Coronakrise mit den Suchterkrankten und Obdachlosen? Was sagt man immer, der unten steht, leidet mehr oder wir da drinnen und die da draußen?
Vielleicht mögt ihr ja meinen Erzählungen folgen entlang der Skalitzer Straße bis in den Görlitzer Park. Ich habe ein paar Menschen getroffen, die von ihren Erfahrungen berichten.
Interviewte Person 1 Ich bin jetzt nach einer ganzen Reihe von cleanen Jahren wieder rückfällig geworden. Also im Moment wohne ich bei Zib, das ist zu Hause im Kiez, Betreutes Wohnen. Weil ich meine Wohnung verloren habe und irgendwie in den letzten Jahren ziemlich abgestürzt bin, also ganz viel verloren habe.: Arbeit, meinen Sohn, der im Moment beim Vater lebt, nicht mehr bei mir und bin jetzt hier halt im Krankenhaus, um nochmal zu entgiften und um irgendwie Neustart zu machen.
Corona allgemein… Also am Anfang war es natürlich zum Beispiel auch für mich ganz schwierig, hier einen Platz zu kriegen. Das hat sich natürlich auch darauf ausgewirkt, dass ich einen Entgiftungsplatz wollte. Das fing so vor 2 Monaten an und ich wirklich – also, dass es schon irgendwie ganz schrecklich war zu hören, dass kein Krankenhaus aufnimmt. Das war ja schon so, dass man immer wusste man kann über die Rettungsstelle ins Krankenhaus oder wenn’s hart auf hart kommt, man kann entgiften gehen. Mit dem Zufall habe ich jetzt auch eigentlich fast 2 Monate gewartet, bis ich hier einen regulären Platz bekommen habe. Also es gibt ja immer noch Krankenhäuser, die ihn nicht aufnehmen das war schon irgendwie nicht einfach.
Dass anfangs Dealer einfach nicht mehr verkauft haben und wenn dann einer irgendwie noch verkaufen hat, da warteten dann teilweise und hundert Leute oder so. Und das war natürlich auch extrem schwer Geld zu machen, weil manchmal haben Leute, die dann irgendwie am Betteln waren und dann hat jemand irgendwie das Geld auf den Boden gelegt und dann ganz schnell 3 Schritte zurück und sich ja nicht anzustecken und so.
Dann kann glaube ich so ne Welle wo ich das Gefühl hatte, die hatten alle Mitgefühl mit den Leuten, die eben obdachlos sind, die betteln. Und dann wurden auch diese Zäune gemacht, wo dann Essen oder alles Mögliche, was so für den täglichen Bedarf ist, drangehangen wurde.
Jetzt zum Schluss, so die letzte Zeit, wo ich jetzt hier ins Krankenhaus gekommen bin, da war das wieder so eine Normalität und irgendwie eher so, dass Leute, glaube ich, auf Abstand gehen, wenn sie sehen, man ist halt abhängig und eine Ansteckungsgefahr, dass viele dann Angst haben. Aber es hat sich dann auch wieder alles ein bisschen normalisiert, finde ich, dass auch Leute das auch schon wieder übersehen. Also dann ist es schon wieder so wie immer. Ich meine, wahrscheinlich wird es das immer geben: Es gibt wahrscheinlich Leute, die eben helfen und Leute, die es weniger interessiert.
Ich war ja vorher auch obdachlos und Gott sei Dank habe ich vorher noch diesem Wohnraum bekommen. Es gibt ja diese diese Notunterkünfte, wo dann ehrenamtlich auch gearbeitet wird, die waren ja dann alle zu. Wo man ja doch die Möglichkeit hatte zu essen, zu schlafen, Wäsche zu waschen, zu Duschen. Gab es ja dann auf einmal alles nicht mehr. Also fand ich schon irgendwie eine krasse Erfahrung, so auf einmal: Dass das alles so wegfiel und wo ich auch so dachte, auch Leute, die dann wirklich kein Geld mehr machen können oder so, weil keiner mehr was gibt oder weil die Leute einfach alle zu Hause sein müssen und du hast ja trotzdem irgendwie… Du kommst ja dann auf Entzug oder bist ja dann auf Tempo, weil du keine Drogen mehr kaufen kannst und –
FR War das bei ihnen so, dass es so weit kam?
Interviewte Person 1 Nee, zum Glück nicht also ich bin auch substituiert, insofern… Also mein Arzt hatte weiterhin die Vergabe gemacht. Es gab Ärzte, die haben auch viel „Take Home“ – also, die haben den Patienten das mitgegeben. Ich finde es auch ziemlich demütigend, wenn man bettelt und diejenigen legen das Ding auf dem Boden und rennt schnell 3 Schritte zurück. Also okay, aber ist ja schon nett, dass sie überhaupt was geben. Aber es ist natürlich so, dass man als bestimmte Gruppen natürlich sofort degradiert wird: Also, die sind bestimmt krank. Was ja auch Quatsch ist letztendlich.
FR Haben Sie denn über so Alternative Finanzierungsweisen dann auch nachgedacht?
Interviewte Person 1 Also ich bin ja nicht mehr 20. Also, ich kann nicht klauen und anschaffen war ich noch nie und werde auch nie tun. Also für mich war das eigentlich so die einzige Möglichkeit, die in Frage kam. Und die fand ich schon schlimm genug, weil ich es schon als ziemlich erniedrigend immer empfinde, betteln zu gehen. Ich war dann mehr im Ska, so da in der Reichenberger Straße in den Räumen. Aber da dann auch: Also einer dürfte dann meistens auch nur noch rein und das war dann alles auch wesentlich schwieriger, dass eben mehrere Leute gleichzeitig im Raum nutzen dürfen. Das ist ja einer der wenigen Räume, wo du eben duschen kannst, wo du neue Klamotten kriegst. Das war dann natürlich auch alles nur noch vereinzelt, dass man reindurfte.
Und das ist jetzt auch zum Beispiel so, wenn man hier aus dem Krankenhaus kommt. Also ich wollte eigentlich auch noch eine fortführende Therapie machen, also Borderline-Therapie. Da gibt es halt einige Krankenhäuser, die das machen. Also das St. Petri’s zum Beispiel. Die haben aber immer noch alles geschlossen und zu. Ja, dadurch, dass eben nichts stattfindet, die Wartelisten irgendwie immer weiter nach hinten rücken und das natürlich alles ewig dauern wird, bis man auch den Platz kriegt.
Aber auch so diese alltäglichen Sachen. Zum Beispiel jetzt in dem Wohnprojekt, wo ich bin, da gabs halt immer einen Brunch und dann gab’s Gruppen und das fällt natürlich nach wie vor alles weg. Jetzt wird so langsam wieder ein bisschen was ins Leben gerufen, aber wirklich ganz langsam und ein, zwei Sachen, die wieder stattfinden. Aber das ist natürlich, gerade wenn man aus dem Krankenhaus kommt und dann eigentlich so Struktur braucht, dann ist das natürlich total schwer, wenn alles wegfällt. Und auch Tageskliniken und so – ist im Moment alles noch nicht machbar.
Was ich schade finde ist, dass nach wie vor keine Selbsthilfegruppen stattfinden. Ich bin halt schon jemand, der auch früher viel zur NA gegangen ist. Da hat die Sozialarbeiterin zu mir gesagt: Kann man über Skype machen. Ist so gar nicht mein Ding, wenn übers Internet Leute sprechen. Also ich gehe ja wirklich gerade deswegen da hin, wenn ich mich einsam fühle – um wirklichen Kontakt zu Menschen zu haben. Das ist echt, glaube ich, für viele Leute eine Katastrophe, die da wirklich regelmäßig hingehen und die das einfach brauchen. Für mich wäre das jetzt auch einfach wichtig gewesen, dass, wenn ich jetzt hier raus bin, ich einfach was machen kann.
FR Ich biege rechts ab in den Park und lasse die Skalitzer Straße hinter mir. Rechts und links von mir wird die Welt grün und über mir der blaue Himmel. Es soll also während der Krise 3 Wellen gegeben haben und die letzte sei die Rückkehr zur Normalität. Aber war nicht auch schon die Normalität das Problem? Ich halte mich mittig und schlendere durch den Park. Links eine Gruppe Männer, eine kleine Auseinandersetzung.
[sich streitende Männerstimmen]
Dann setze ich weiter Schritt vor Schritt, bis ich mich neben einen kleinen Brunnen auf einen Stein setze.
Interviewte Person 2 Habe eine Doppeldiagnose: Depressionen und Alkoholsucht und deswegen lebe ich auch in der therapeutischen Wohngemeinschaft. Ich werde außen natürlich auch psychiatrisch betreut. Hab‘ eine Psychiaterin, die ich so drei Mal die Woche [sehe]. Das geht über einen Amt -weiß jetzt nicht den Namen so genau-, wo so Psychiater ausgebildet werden in der Schlossstraße. Und da habe ich 40 Stunden und das wird dann immer verlängert und verlängert usw. Also, das heißt, ich hatte dreimal in der Woche Psychiater Gespräch. Helf‘ mir dann selber viel über Meditation und so weiter, dass man so ruhig wird.
Ja, und dann kam COVID19 und dann ist das alles weg gebrochen. Es gab bei uns im Haus kein 1 zu 1 Kontakt mehr, die Psychiaterin hat mit mir telefoniert oder WhatsApp Video Anruf, aber das war alles nicht das gleiche.
Ja, wir hatten eigentlich paar familiäre [unverständlich]. Meine Oma hatte an Ostern rum ihren 100 Geburtstag, da war eine große Feier geplant. Die wollte hier Urenkel nochmal sehen. Ich habe einen Sohn, der 12 Jahre alt. Ja, das ist natürlich dann alles weggebrochen. In Bayern war komplette Kontaktsperre in den Altenpflegeheimen und die war dann irgendwie so geknickt, dass sie 2 Wochen später verstorben ist. Das war der erste Tiefschlag, was ich verarbeiten musste.
Und natürlich die Isolation war ziemlich schwer. Bei uns sind sehr viele Hochrisikopatienten, das heißt bei uns im Haus sind ganz, ganz strenge Regeln. Ich habe viel Sport gemacht hat und hab 15 Kilo verloren. Bin viel gerannt und so weiter, aber das war halt immer nur kurzzeitig Programm.
FR Was hätte Ihnen besonders geholfen in der Situation besser dann damit umzugehen, mit dem Virus?
Interviewte Person 2 Natürlich, wenn ich die ganze Zeit so diesen Druck… wenn sich das nicht so aufgebaut hätte… Wenn man – natürlich kann man mit Leuten telefonieren, man kann das und das so [machen] – aber diese direkten Gespräche. Von einem sehr engmaschigen Netz dreimal die Woche zu gar nichts zu oder 10 Minuten contacto und am Telefon – das ist natürlich extrem!
FR Was hilft Ihnen denn am meisten abstinent zu bleiben?
Interviewte Person 2 Gespräche und meine Selbsthilfegruppe.
FR Setze meinen Spaziergang durch den Park fort und halte mich rechts. Links erhebt sich das Bahnhofs Gebäude auf der rechten Seite Überreste einer Nachbildung der berühmten türkischen Sinter-Terrassen vor einem Lokal.
Von den Ärzten der Entzugsstation erfahre ich, das Ganze sucht System sei während der Krise zusammengebrochen. Keine Selbsthilfegruppen, keine Entzugsbehandlung, keine Langzeittherapien. Stattdessen online Angebote.
Thomas Piketty sagt die Ungleichheit auf der Welt wachse. Der Besitz der unteren 50% der Bevölkerung in Deutschland war wenig und ist heute noch weniger. Die Menschen erzählen sich stattdessen Märchen. Märchen vom Gleichheitskapitalismus. Vor ein paar Monaten war es noch undenkbar, Flüge zu reduzieren, um die Menschen nach Hause zu schicken. Undenkbar. Aufgrund der ökonomischen Kosten.
Laut Thomas Piketty leiden verschiedene soziale Gruppen unterschiedlich unter den Auswirkungen der Krise. Was machen wir nun aus unseren Erfahrungen? Krisen, so sagte, sind soziale Mobilisatoren. Krisen, haben die Fähigkeit, Gesellschaften zu verändern, zum Besseren und zum Schlechten.
Am Horizont erhebt sich die Statue des schreitenden Menschen eine 14 Meter hohe Stahl, Skulptur von Rüdiger Preißler, der Mensch stets in einem Schritt begriffen, stets in Bewegung.
Hier möchte ich mich von euch verabschieden.
Off-Sprecher Dies war ein Beitrag von Felicitas Rösch zum Thema sucht während der Coronakrise.
[Das Transkript wurde zu Teilen maschinell erstellt]
Felicitas Rösch
Coverbild von Miri Berlin Photography