„Stressig, verwirrend, notwendig“ – Berichterstattungen von den Anti-Corona-Demonstrationen

 „Augenscheinlich Bürgerliche, Esoteriker*innen, ehemalige Stuttgart21- und Anti-Atomkraft-Demonstrant*innen neben Pegida-Klientel, Verschwörungsideo-log*innen und rechtsextremen Hooligans“ – so umschreibt Julius Geiler, Reporter und Autor des Tagesspiegels, die bunte Mischung der Demonstrant*innen auf den ersten deutschen Anti-Corona-Demonstrationen des Jahres 2020. Schon kurz nach Beginn der Pandemie gingen im April einige Hundert Bürger*innen gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen der Regierung auf die Straße. Handelte es sich dabei zunächst noch um eine überschaubare Anzahl, sollte sich die Teilnehmer*innenzahl im weiteren Verlauf des Corona-Krisenjahres kontinuierlich erhöhen. Im August 2020 wurde die Beteiligung bereits auf 30 000 Menschen geschätzt. Die Proteste entwickelten sich zu einem ernstzunehmenden Phänomen, sie wurden organisierter, Strukturen deutlicher. Diesen Eindruck teilt auch David Donschen, der als Journalist unter anderem für den RBB tätig ist: Auf den ersten Demonstrationen sei zunächst unklar gewesen, wer den Ton angibt und wer der Presse womöglich feindlich gegenübergestellt ist. Mittlerweile sei aber „auszumachen, wer hinter den Demos steht und welchen Netzwerken die Organisator*innen angehören“, so Donschen.

Dennoch tritt der Medienvertreter seinen Arbeitstag mit einem „mulmigen Gefühl“ an. Auch Julius Geiler beschreibt seinen Gemütszustand vor dem Begleiten einer Demonstration als „eine Mischung aus angespannter Freude und Sorge vor möglichen Übergriffen“. Nicht zu Unrecht, denn zurzeit gibt es immer mehr Vorfälle, in denen Journalist*innen auf diesen Demonstrationen beschimpft, bedroht und auch körperlich angegangen werden. Ihnen wird seitens der Demonstrant*innen vorgeworfen, subjektive Berichterstattung zu propagieren.

Aus diesem Grund versucht sich Donschen als Journalist nicht kenntlich zu zeigen. Geiler legt offen, dass er seit April 2020 per Twitter und über private oder berufliche E-Mail-Adressen Drohungen zugesandt bekommt – unter ihnen vereinzelt auch solche, die Mord beinhalten. „Zwei habe ich im Sommer bereits zur Anzeige gebracht, bisher ist noch nichts passiert, obwohl ich in mindestens einem Fall den Urheber der sehr konkreten Todesdrohung kenne“, berichtet er.

Aber nicht nur Demonstrant*innen erschweren die Arbeit der Journalist*innen. So gab es durchaus Situationen, in denen die Polizei ein Hindernis für eine uneingeschränkte Pressearbeit darstellte. „Ich habe schon mehrmals erlebt, dass ich mich gegenüber Polizist*innen dafür rechtfertigen musste, wenn ich als Journalist durch Polizeisperren auf Anti-Corona-Demos wollte“, erzählt Donschen. Dabei besagt Artikel 5 des Grundgesetzes, dass es Pressevertreter*innen ermöglicht werden muss, frei von öffentlichen Veranstaltungen zu berichten. Welches Motiv hinter den Behinderungen journalistischer Arbeit durch Polizist*innen steht, kann Donschen nicht sagen. Einen Ernstfall, in dem er auf polizeiliche Hilfe angewiesen gewesen war, gab es noch nie. Anders bei Geiler, der berichtet, wie sich Beamte in kritischen Situationen vor ihn stellten und ihn auch schon „regelrecht rausziehen“ mussten. „Gleichzeitig kommt es immer wieder zur unrechtmäßigen Beeinträchtigung von Pressearbeit durch Schikane oder die Begründung der angeblich laufenden polizeilichen Maßnahme oder andere nichtzutreffende Argumente seitens der Polizeikräfte“. Geiler erkennt zudem einen Unterschied im Vorgehen bei verschiedenen Polizei-Einheiten. Er ist sich sicher, dass einige ihm im Notfall zur Hilfe kommen würden, bei anderen jedoch sei eine regelmäßige Beeinträchtigung der Pressearbeit beobachtbar.

Donschen sieht die zeitliche Entwicklung des Umgangs der Polizei mit den Demonstrationen positiv: „Die Polizei in Berlin ist mittlerweile sehr viel besser vorbereitet.“ Geiler findet ebenso, dass dank einer politischen Strategie mittlerweile konsequenter gegen Verstöße vorgegangen wird. Was die Teilnehmer*innen betrifft, so bemerkt er allerdings gleichfalls eine stetige Radikalisierung, die dieses Handeln erst nötig macht: Sowohl die Aggressivität gegenüber der Polizei, den Gegendemonstrant*innen als auch der Presse nimmt zu.

Ist unter diesen Umständen eine Berichterstattung vor Ort das Risiko wert? Die beiden Journalisten sind sich einig: Es ist unverzichtbar, weiter von Demonstrationen dieser Art zu berichten. „Natürlich kann man sich auch stundenlang diverse Demo-Livestreams auf YouTube geben“, so Geiler, „aber das ist nicht das Gleiche. Ziel muss es sein, vor Ort ‚Querdenker*innen‘ und Gegendemonstrant*innen zu beobachten, Polizei-Vorgehen zu beurteilen und natürlich auch mit Menschen vor Ort zu sprechen.“ Zusammengefasst: „Es gibt dazu keine Alternative, als selber vor Ort zu sein.“ Trotzdem erkennt auch Geiler, dass das Berichten auf Demonstrationen dieser Art immer schwieriger wird. Muss man also davon ausgehen, dass die Pressefreiheit in Gefahr ist? Geiler hält an der Hoffnung fest, dass die Politik gemeinsam mit Polizei und Journalist*innen-Verbänden das Thema angehen wird. Auch Donschen findet: Erst wenn von dieser Seite keine Sicherheit mehr gewährleistet wird, würde diese Befürchtung eintreten. Eine dahingehende Tendenz sehen aber beide nicht. 

Für Donschen ist es besonders wichtig, den Leser*innen zu verdeutlichen, dass „auf diesen Demos eben nicht nur besorgte Bürger*innen unterwegs sind, sondern offen antisemitische, rechtsradikale und rassistische Gruppen, Reichsbürger*innen und Verschwörungsideolog*innen.“ Aufgrund seiner Beobachtungen beunruhigt ihn die Frage, wie es dazu kommen konnte, „dass Teile der Mitte der Gesellschaft bei solchen Demos mitlaufen und zum Teil in den verschwörungsideologischen, antisemitischen und rechten Ton mit einstimmen.“ Diese Dynamiken vor Ort zu beobachten, sieht er dabei als essenziell für eine gelungene Berichterstattung. Es gilt also, dranzubleiben – allen Unwägbarkeiten zum Trotz.

Luise Graw, Lea Gudowski & Niklas Kohl

Coverbild von Markus Winkler auf Pixabay

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