Aktuell ist jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen. Trotz des wirtschaftlichen Wachstums der Bundesrepublik, stagniert die Armutsgefährdungsquote bei Kindern und Jugendlichen seit Jahren auf hohem Niveau. Die Auswirkungen, auch gesundheitlich, sind fatal, da sie die Betroffenen oft ein Leben lang begleiten. Die Politik hat es bisher versäumt, angemessen auf das Problem von Kinderarmut zu reagieren. Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder von Eltern mit geringer Bildung im Vergleich öfter krank sind. Die Ursache dafür sieht die Hamburger Kinderärztin Susanne Epplèe in der Bevölkerungsstruktur. Demnach ist die Häufigkeit von armutsbedingten Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in bestimmten sozial schwachen Regionen besonders hoch.
Die Kinderärztin beobachtet in ihrem Praxisalltag die vielfältigen Auswirkungen von Armut bei Kindern. Betroffene Familien sind häufig von staatlichen Hilfeleistungen abhängig, beide Eltern arbeiten zumeist in Vollzeit im Niedriglohnsektor, haben ausländische Bildungsabschlüsse, die in Deutschland nicht anerkannt sind und haben meist mehrere Kinder. Die Wohnungen sind klein und eng, Kinder haben seltener eigene Zimmer, es mangelt an Rückzugsmöglichkeiten. Folglich ist es schwerer den schulischen Aufgaben nachzukommen und somit die eigenen Zukunftschancen zu gestalten.

Armut reproduziert sich. Nicht selten leidet auch die Gesundheit, wenn Familien von Armut bedroht sind. Der soziale Druck der Eltern, resultierend aus Geldnot, überträgt sich besonders dann auf die Kinder, wenn das Umfeld die nachteilige Lage der Familie nicht kompensieren oder auffangen kann. Der finanzielle Stress überträgt sich zwangsläufig auf die Kinder. Die gesundheitlichen Folgen drücken sich durch vielfältige Krankheitssymptome , wie Übergewicht und psychische Auffälligkeiten, Zahnprobleme, schlechte Mundhygiene und Verhaltensauffälligkeiten aus. Diese treten nachweislich häufiger bei Kindern aus ärmeren Familien auf und können später auch tiefgreifende psychische Belastungen bedingen. Folglich sind Essstörungen, Minderwertigkeitsgefühle, Depressionen und Angststörungen wahrscheinlicher. Ebenso kann es andersherum von psychischen Beschwerden ausgelöste körperliche Beeinträchtigungen geben – sogenannte psychosomatische Beschwerden.
Während äußerlich sichtbare Krankheiten früher diagnostiziert und behandelt werden können, bleiben seelische Schäden oft unerkannt. Studien des Robert-Koch-Instituts (RKI) zeigen, dass Kinder und Jugendliche aus ärmeren Haushalten öfter von psychischen Erkrankungen betroffen sind als Gleichaltrige aus besser situierten Familien. Ursächlich dafür, dass Erkrankungen bei den Betroffenen später oder gar nicht erkannt werden, kann die geringere Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen dieser Gruppe sein. Der Sozial- und Gesundheitsbericht des Landes Brandenburg gibt als Grund dafür fehlende Informationen über die Angebote sowie Freiwilligkeit an.
Erschwerte Bedingungen in der frühen “Kindheit bedeute[n] einen schlechten Start ins Leben mit nachtteiligen Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit […].” Neben den gesundheitlichen Folgen ergeben sich aus Armut weitere Nachteile in den Bereichen von Bildung und Beruf, sozialer Integration, politischer Teilhabe und den Lebenschancen für die Zukunft. Die Autorin und Ärztin Ursula Mangelsdorff spricht daher von einem “Roten Faden” der Benachteiligung.

Um die strukturelle Benachteiligung auszugleichen, wurde auf politischer Ebene mit der Verabschiedung des Präventionsgesetztes im Jahre 2015 bereits ein erster Schritt getan. Ziel ist die Stärkung der Zusammenarbeit der zuständigen Institutionen durch einen Ausbau von Gesundheitsförderung und Präventionsarbeit in den lokalen Einrichtungen. Doch das allein scheint nicht auszureichen. Die Politik sollte auf ein komplexes Thema wie die Bekämpfung von Kinderarmut mit einem mehrdimensionalen Lösungsansatz reagieren. Bildung, Gesundheitsprävention und soziale Integration müssen mehr Beachtung finden.
Konkret könnte im Bereich der Bildung eine Reform der Schultypen die strukturelle Benachteiligung mindestens vermindert werden. Darüber hinaus kann ein Ausbau der Ganztagsbetreuung in der Schule allen Kindern gleichen Zugang zu Förderungsmaßnahmen ermöglichen. Eine Ausbildung unabhängig vom sozialen Status der Eltern muss der Anspruch sein.
Die Gesundheitsprävention muss weiter in den Fokus rücken, indem Informationen zu Präventionsmaßnahmen und Hilfestellen umfangreich, möglichst für alle sozialen Schichten im gleichen Maße, zugänglich gemacht werden. Dazu zählen vor allem die Vorsorgeuntersuchungen, die eine wichtige Rolle für die Entwicklung der jungen Generation und ihrer zukünftigen Lebenschancen spielen.
Zukünftig könnte sich eine Chance aus einer Kindergrundsicherung ergeben. Eine von dem elterlichen Einkommen unabhängige finanzielle Unterstützung aller Kinder, könnte idealerweise einen Anfang in der sozialen Integration markieren. Damit kann die Kinderarmut auf materieller Ebene effektiv angegangen werden.
Die Gefahr, dass die Armut in der Familie an die nächste Generation vererbt wird, ist groß. Wir brauchen neue, kreative Lösungsansätze und Initiativen, um die Situation der Kinder in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Dazu ist es wichtig, den Diskurs über Kinderarmut noch stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken.
Lennart Bugoslawski und Friederike Zimmermann