- Das durchschnittliche Alter von Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes lag 1990 in Ostdeutschland bei 22,9 und in Westdeutschland bei 26,6 Jahren.
- Der drastische Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern nach der Wende erreicht seinen Piek 1994 mit 0,77 Kindern pro Frau.
- 1991 lag der Anteil von Kindern im Alter von 0 und 3 Jahren in Ganztags- oder Teilzeitbetreuung bei 58 % in den neuen und bei 4 % in den alten Ländern.
- 2020 liegt die Betreuungsquote von Kindern von 0 bis 3 Jahren in Ostdeutschland bei 52,3 % und in Westdeutschland bei 30, 6 %.
- Der Anteil vollzeiterwerbstätiger Frauen mit Kindern unter 11 Jahren ist in den neuen Bundesländern seit 1990 von über 50 % auf 30 % im Jahr 2020 gesunken. Der Anteil dieser Frauen liegt in den alten Bundesländern seit 30 Jahren auf ähnlichem Niveau bei etwa 12 %.
- Die Anteile teilzeitbeschäftigter Frauen mit Kindern ist in allen Teilen Deutschlands gewachsen. 2020 liegt er im Westen bei 40 % und im Osten bei 32 %.
Quellen: Barth et al. 2020; Statistisches Bundesamt 2017, 2021; Kreyenfeld & Vatterott 2018.
Im Einigungsprozess 1990/1991 zeichnete sich schnell ab, dass Frauen- und Familienrecht als nebensächliche Angelegenheiten behandelt wird. Die Gleichstellungsbeauftragte der DDR-Übergangsregierung und ihre Kolleginnen erinnern sich an eine anstrengende und aufwühlende Zeit. Durch ihre Arbeit am „Frauenreport`90“ wurde die Situation von Frauen in der DDR erstmals systematisch erforscht und veröffentlicht. Darüber hinaus schlugen sie ein neues gesamtdeutsches Frauen- und Familienrecht vor, welches grundlegende Prinzipien der Gleichberechtigung zu sichern versuchte. Doch eine Neuaushandlung der Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen war von der damaligen Kohl-Regierung nicht erwünscht. Für viele Aktivistinnen begann mit der Wende eine Phase der Politisierung, da in dem neuen System nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die offensichtliche Notwendigkeit bestand, für die Belange von Frauen zu mobilisieren. Doch wie erlebten das Frauen, die nicht direkt an politischen und aktivistischen Verhandlungen beteiligt waren? Welche Auswirkungen hatte die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen auf die individuelle Lebensführung? Wie wurde im persönlichen Umfeld mit Fragen der Gleichberechtigung nach der Wende umgegangen und welche Rolle spielten dabei Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen? Fanden sich ostdeutsche Frauen in anderen Rollenzuweisungen wieder? Wurde die Eingliederung in die BRD als Bedrohung der Selbstbestimmung wahrgenommen? Und wie gingen Paare mit unterschiedlichen Einstellungen und Gewohnheiten um? In der Erwartung, diesen Konfliktlinien zu begegnen, spreche ich mit fünf Personen, die in der Wendezeit zwischen Ost- und Westdeutschland in unterschiedlich zusammengesetzten Partnerschaften Erfahrungen gemacht haben. Die Einblicke, die sie in die Aushandlung von Rollen in Beziehung und Elternschaft geben, überraschen mich.
1.
Irene und Tobias laden an einem spätsommerlichen Nachmittag zu Kaffee und Kuchen in ihrem Garten in Berlin-Mahlsdorf ein. Die beiden haben sich als Jugendliche auf einem Schwimmwettkampf in Eberswalde kennengelernt. Hier ist Tobias aufgewachsen und hier hat Irene ihren Schulabschluss absolviert. Heute sind ihre beiden Töchter 20 und 22 Jahre alt und wohnen nicht mehr bei ihnen.
Zum Zeitpunkt der Wende ist das Paar selbst 20 und 22 Jahre alt und hat im Gegensatz zu vielen etwa gleichaltrigen Bekannten noch keine Familie gegründet. Tobias erinnert sich: „In unserer Generation gab es einen Unterschied zwischen denjenigen, die eine Ausbildung gemacht haben und den wenigen, die Abitur gemacht haben. Das heißt, diejenigen, die diesen Ausbildungsweg eingeschlagen sind, – und aus meiner Klasse waren das sehr viele – die hatten dann sehr früh Kinder.“ Da er selbst jedoch „pünktlich zu den Montagsdemonstrationen“ in Leipzig sein Informatikstudium begonnen hatte, stand für das Paar der als selbstverständlich wahrgenommene gemeinsame Kinderwunsch zunächst noch hinten an. Irene wohnt zunächst bei einer Tante und später allein. 1991 zieht Tobias zu ihr nach Berlin. Bis zur Geburt der ersten Tochter 1999 ist schlussendlich sogar mehr Zeit vergangen als ursprünglich geplant. Denn der Mauerfall rückte die Priorisierung der Familiengründung vorübergehend in den Hintergrund. Irene rührt verträumt in ihrem Kaffeeglas: „Für uns persönlich kam eher noch hinzu, dass wir erst mal die Welt sehen, viel reisen, viel erleben wollten. Also das, was du zu Ostzeiten nicht machen konntest (…), wir hatten ja noch Zeit!“
Als Jugendliche kannte Irene die Figuren westdeutscher Frauen aus dem Fernsehen und hat diese als unselbstständig wahrgenommen. Hatte sie selbst in der Nachwendezeit Befürchtungen um ihre eigene Selbstständigkeit? Die Antwort folgt ohne einen Moment des Zögerns: „Nee! Weil ich war ja schon so erzogen, dass ich logischerweise arbeiten gehe, um mein Geld zu verdienen. Und genauso wie ein Mann. Wenn ich leben will und was erleben will, dann brauche ich halt Geld. Dann muss ich halt dafür arbeiten gehen. Und dass man sich nicht abhängig macht, also das war schon ganz klar. Dass das alles geht wie ich es möchte und das ich alles machen kann was ich möchte.“ Die Familie wächst mit der Geburt der zweiten Tochter 2002 um einen weiteren Kopf und wird neben den zwei Berufsleben als gemeinsame Angelegenheit aufgefasst. Arbeit wird immer je nach zeitlichen Kapazitäten und Interessen fair aufgeteilt. Irene ist nach ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin in den OP-Saal gegangen. Sie arbeitet in Schichtdiensten, so dass sie auch mal freie Zeiten günstig legen konnte, zum Beispiel wenn ein Kind Geburtstag hatte. Tobias kann die beiden gut morgens bringen und vom Arbeitgeber aus auch mal bei Krankheitsfällen zu Hause bleiben. Obwohl das dennoch meistens von Irene übernommen wurde.
Die Frage der Kinderbetreuung stellte sie vor keine größeren Schwierigkeiten. Denn wie Tobias bemerkt “hat in dieser Beziehung die DDR eigentlich ein bisschen weiter existiert, so was das Angebot an Kitaplätzen und so weiter und Hort Betreuung an der Schule angeht.“ Scherzend fügt er hinzu, dass eine „Ostfrau“ nur nicht nach Bayern hätte ziehen können. An dieser Stelle fällt ihm Irene bekräftigend ins Wort: „Da musste ja die Mutter zuhause bleiben und Essen kochen. Das wäre ja aber kein Leben für mich gewesen.“ Eine weitere „Gruselvorstellung“ Irenes von dem Leben als westdeutsche Hausfrau ist das Haushaltsbuch, in dem Rechenschaft über die Ausgaben getätigt werden. Dass es ihr wichtig ist, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, hat sie für sich mit dem ersten Job festgestellt. Auch wie „Leute, die heirateten, auch noch gleiche Konten“ haben könnten, ist für sie schleierhaft. „Also getrennte Konten, das ist ganz wichtig, sag ich euch immer wieder. Bleibt unabhängig!“, appelliert sie in die Richtung ihrer ältesten Tochter am anderen Tischende.
2.
Die zweite Interviewpartnerin erreicht mich am Telefon. Meine Nummer wurde weitergereicht und sie wäre bereit für ein Gespräch – am liebsten jetzt sofort!
Franziska ist 1965 in Münster geboren und zieht zum Medizinstudium nach Berlin. Dort lernt sie nach einigen Jahren ihren späteren Ehemann kennen, dieser ist auch aus Westdeutschland und auch Mediziner. Die beiden ziehen auf Grund der Eröffnung seiner Praxis in einen Ostberliner Randbezirk und ziehen dort ihre beiden Kinder groß. Da die Arbeitsmarktsituationen um die Jahrtausendwende herum nicht grade familienfreundlich ist, verschiebt das Paar ihren Kinderwunsch zunächst um zwei Jahre, damit Franziska ihre Facharztausbildung abschließen kann.
Franziskas Stimme klingt nach einer Person, die weiß was sie möchte. Es scheint ihr wichtig zu sein, ihre persönliche Entscheidung als Teilzeitkraft zu arbeiten und viel Zeit für Erziehung und Haushalt zu haben als eine freie und bewusste zu erklären: „Mein Mann, der ist sechs Jahre älter, von daher war das jetzt nicht die [finanzielle] Notwendigkeit, dass ich jetzt viel arbeiten musste und es war jetzt nicht meine Berufung. (…) Das war jetzt nicht irgendwie gewollt oder so was von meinem Mann. Sondern war genau auch das, worauf wir uns geeinigt haben.“ Dass dies „ein bisschen untypisch grade hier für den Osten“ gewesen ist, habe sie nicht weiter gestört. Als ich nachhake, ob ihr mit Verständnis begegnet wurde, braucht sie einige Momente, bevor sie antwortet: „also ich brauchte keine doofen Kommentare ertragen, man hat sich manchmal darüber gewundert, dass ich nicht so viel arbeite.
Auf Unverständnis getroffen sei sie vor allem in den Kinderbetreuungseinrichtungen. Als sie ihre Kinder erst mit eineinhalb oder mit zwei Jahren angemeldet hat, wurde sie befragt, was sie denn vorher mit dem Kind gemacht hätte? Warum wäre denn das Kind nicht vorher in der Kita gewesen? Und später im Hort sei sie mit den Erzieherinnen „angeeckt“, weil diese nichts damit anfangen konnten, dass sie ihre Kinder an manchen Tagen früher holen wollte, um ihnen die Teilnahme an musikalischen und sportlichen Freizeitaktivitäten zu ermöglichen. Mit belustigtem Unterton erzählt sie mir, im Nachhinein erfahren zu haben, dass die Erzieherinnen geglaubt hätten, sie würde Geld sparen wollen und die Kinder Zuhause vor den Fernseher setzten. Weniger Schmunzeln ist ihrer Stimme zu entnehmen, als sie auf die Situation der Geburt ihres ersten Kindes in einem Ostberliner Krankenhauses zu sprechen kommt. Da hätte sie schon ordentlich an Selbstbewusstsein beweisen müssen, um sich gegen die „Herrn Götter“ zu behaupten, die ihr etwa einreden wollten, ihr Kind wäre zu leicht und sollte zugefüttert werden, anstatt gestillt. Sie wäre froh gewesen, zu diesem Zeitpunkt bereits alt genug gewesen zu sein, um „ihnen zu zeigen wie gut es mir geht und wie gut es meinem Kind geht.“ Da habe sie doch das Gefühl gehabt, „im tiefsten“ Osten zu sein. Gerade, weil die meisten anderen Mütter mit Anfang 20 in Franziskas Augen sehr jung waren und sicherlich eher froh darüber, dass ihnen genau gesagt wurde, was zu tun wäre.
3.
Die Zoom-Verbindung ist gut, das Internet stabil, obwohl Caro auf ihrer Berliner Terrasse sitzt. Ich sehe ihr über die Kamera gebeugtes Gesicht vor einem strahlenden Himmel. Leider funktioniert meine Tonaufnahme nicht, sodass wir zwei Wochen später ein weiteres Gespräch führen. Caro ist 1964 in Leipzig geboren, macht dort ihr Abitur und studiert anschließend Fremdsprachen mit der Zielrichtung Erwachsenenpädagogik. Ihr damaliger Freund ist auf Grund seiner Promotion an Karl-Marx-Stadt (heutiges Chemnitz) gebunden, so dass sie eine Wochenendbeziehung pflegen. Die Gründung einer Familie ist für Caro bereits als Mädchen ein wichtiges Ziel gewesen, sie zitiert aus einem Schulaufsatz, in dem neben dem beruflichen Werdegang von mindestens zwei Kindern die Rede ist. Auch deswegen bezeichnet sie ihren Sohn, der nach Abschluss des Studiums 1997 auf die Welt kommt, ausdrücklich als „Wunschkind“. Die ersten drei Jahre verbringt sie mit dem Kind Zuhause, da sie als „Ausnahme in der DDR“ der festen Überzeugung ist, dass dies das Beste für sich selbst und ihren Sohn sei. Sie fühlt sich sozial gut angebunden und wird von ihrer Familie unterstützt.
Die Entscheidung jedoch 1990 mit ihrem Partner nach Berlin zusammenzuziehen, fällt ihr nicht leicht: „Ja es war schon ein bisschen Diskussion auch, eigentlich wäre ich lieber in Leipzig geblieben. Er bekam nach der Promotion eine Stelle angeboten und ich war ja nicht so angebunden beruflich, weil ich aus meinem Institut ja so zu sagen raus war. Dann bin ich bin da so klassisch dem Mann gefolgt.“ Sobald sie dann gemeinsam wohnten, wäre es vollkommen klar gewesen, dass er sich zu gleichen Teilen im Haushalt und an der Erziehung beteiligte, erinnert sich Caro. Auch als sie auf Grund einer Neuausbildung nach der Wende viel Zeit für ihre Karriere benötigt und öfters für Dienstreisen unterwegs ist, konnte sie sich immer „auf ihn verlassen.“
Nachdenklich rekonstruiert sie, was sich mit der Wende für sich, ihre Partnerschaft und ihre Zukunftsvorstellungen verändert hat. In dieser aufregenden Zeit der Umorientierung waren bestimmte zuvor ganz klaren Lebensplanungen, wie dem Wunsch nach weiteren Kindern, plötzlich nicht mehr so eindeutig vorhanden oder wurde nicht verfolgt: „Und plötzlich waren glaube ich schon sieben Jahre vergangen und ich dachte dann, naja was ist denn jetzt eigentlich damit? Und wir hatten das auch beide nicht thematisiert – also weder mein Mann noch ich. Und dann ja und dann lief die Zeit dahin und verging und plötzlich war es – fanden wir es beide zu spät.“
Nach der Trennung von dem Vater ihres Sohnes geht Caro eine Fernbeziehung mit einem Mann aus Kanada ein. Im Gegensatz zu Beziehungen mit Männern, die ebenfalls aus Ostdeutschland kommen, ist hier ihre finanzielle Selbstständigkeit als Frau ein Thema: „Es war ihm vor seine Freunden immer wichtig zu betonen, dass ich auf eigen Beinen stehe,“ erinnert sie sich mit bis heute anhaltender Verwunderung. Lachend ergänzt sie: „Für uns war das klar, alle Frauen sollten einen Beruf ergreifen und natürlich jetzt nicht nur um Geld zu verdienen, sondern um den tollen Sozialismus mit aufzubauen und zu stärken. Aber das hatte natürlich immer die Begleiterscheinung, dass man unabhängig war und damit sind wir aufgewachsen mit diesem Gedanken. Deshalb war das jetzt für mich nichts Besonderes.“ Ob die Direktheit, Keckheit, die an ostdeutschen Frauen grade in romantischen Beziehungen so geschätzt würde, mehr als ein Klischee ist, möchte sie nicht beurteilen. Und doch, das gesunde Selbstbewusstsein ihrer Freundinnen von früher und ihrer selbst führt sie auf ihre gemeinsame ostdeutsche Herkunft zurück. Grade unruhige Phasen hätten sie aus heutiger Sicht auch weiter darin gestärkt: „dass ich weiß, wer ich [bin] und was ich schon gemacht und geleistet habe, das ist da egal ob Ost oder West oder Wende. “
4.
Meine vorerst letzte Gesprächspartnerin Mathilda ist 1965 in Mannheim geboren und hat ihre beiden Söhne, die 1999 und 2001 zur Welt kommen, in einem Westberliner Bezirk großgezogen. Heute lebt sie in einer Ehe mit einer Westberlinerin. Der Berührungspunkt von Mathildas Biografie und meinem Forschungsvorhaben ist die ostdeutsche Herkunft ihres Ex-Partners, dem Vater ihrer Kinder.
Sie berichtet trocken von ihrer relativen Planlosigkeit als junge Erwachsene. In ihrer ersten Beziehung, noch in Mannheim, hatte sie sich nicht wiederfinden können. Die Idee einer romantischen Partnerschaft als etwas Erstrebenswertes bleibt jedoch neben der unkonkreten Vorstellung studieren zu wollen bestehen. In Berlin ist sie zunächst für Politologie eingeschrieben, wechselt dann für Informatik an die TU und ist mit einem Kommilitonen zusammen, obgleich beiden bewusst gewesen wäre, dass sie sich nicht langfristig aneinander binden würden. Mit der Begeisterung am Fach und einer Beschäftigung als studentischen Mitarbeiterin entwickelt sich die Motivation für eine Kariere etwa zeitgleich mit dem Wunsch einer Hochzeit und anschließenden Familiengründung.
Obwohl für Mathilda klar war, dass sie nicht jahrelang als Hausfrau zu Hause bleiben würde, hat sie sich mit Schwierigkeiten der Vereinbarkeit ihrer beider Ziele erst konkret während der ersten Schwangerschaft auseinandergesetzt. Nachdem sie erfahren muss, dass ihr damaliger Arbeitgeber keineswegs Interesse an „Teilzeitmuttis“ hat, sucht sie sich nach der Elternzeit eine neue Anstellung, zu deren Einarbeitung sie nach Köln pendelt. Der Vater ihres Sohnes ist wie sie Informatiker, die beiden sind Kolleg*innen. Obwohl Mathilda nicht sicher ist, wie wichtig ihm persönlich die Familiengründung gewesen ist, so betont sie doch, dass es immer klar gewesen sei, er würde alles mitmachen. Anders als westdeutsche Männer ihrer Freundinnen erschien es ihm nicht besonders wichtig seine Kariere stark zu priorisieren. Um ihr Bedürfnis nach einer Fortsetzung ihrer beruflichen Karriere zu unterstützen, reduziert er seine Arbeitsstunden und will für das Kind da sein. Allerdings stellt sich dann die Situation als sehr herausfordernd für ihn heraus. Mathilda erinnert sich: „Ich fand das dann schon immer besorgniserregend, weil ich bin dann immer nach Köln gefahren, habe angerufen und dann war er verzweifelt, mein Sohn hat im Hintergrund geschrien. Das war kein besonders gutes Gefühl. Ich dachte aber: Naja, was soll da jetzt eigentlich groß passieren? Das ist der Papa und der muss sich jetzt halt eben kümmern.‘“ Trotzdem nervt es sie und setzt sie unter Druck, dass sich ihr Ex-Mann zunehmend über die Belastung durch die Familie beschwert und auch kritisiert, wenn sie Abends ausgeht und er zuhause bleiben soll. Heute bewertet Mathilda die Beziehung dennoch als eine, in der sie als Frau relative Gleichberechtigung lebte: „Der hat doch auch vieles so gemacht, wie ich das wollt und auch die Hausarbeit und relativ viel Erziehungsarbeit übernommen. Ich glaube das wäre mit einem anderen Mann so nicht möglich gewesen.“
Schluss
Für mich war es in allen Gesprächen interessant zu beobachten, dass sich meine Erwartungen an die großen Umbrüche in der Wendezeit kaum zu bestätigen scheinen. Keine der hier vorgestellten Personen hat einen solchen Umbruch in partnerschaftlichen Beziehungen oder in den Rollenerwartungen erlebt, mit denen Frauen und Männer konfrontiert werden. Zwar markierte die Wende einen Einschnitt in die individuelle Lebensplanung und nahm so zum Teil Einfluss auch die Aktualität von Kinderwünschen. Jedoch stellte das veränderte politische Klima keine Gefahr für bereits bestehende Vorstellungen von Gleichberechtigung in Partnerschaften dar. Auch wurden unterschiedliche Lebenserfahrungen und Selbstverständlichkeiten nicht als Bedrohung wahrgenommen, sondern denen letztlich mit Souveränität begegnet. Gibt es also die über Jahrzehnte beschworen Ost-West-Unterschiede im privaten überhaupt nicht?
Inge Pabel