Der politische Körper
Mein Körper ist, wie jeder andere Körper, Schauplatz politischer Aushandlung. Mit den sichtbaren Merkmalen unserer Körper kommunizieren wir unsere Gruppenzugehörigkeiten und auch das Maß unserer Anpassungsfähigkeit an gesellschaftliche Schönheitsideale. Der Körper ist ein Zentrales Handlungsinstrument, das wir immer dabei haben und mit dem täglich, wie mit einem Objekt, handeln (Villa, 2007). Auch manipulieren wir unseren Körper, indem wir ihn zum Beispiel mit Makeup und Nagellack bemalen, rasieren oder durch Sport und Diät formen.
Die Verdinglichung des Körpers schafft Distanz zum eigenen Leib, was dazu führt, dass wir uns immer weniger unserer eigenen Bedürfnisse bewusst sind, und uns gleichzeitig immer mehr an den Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Normen orientieren. So führen wir zahlreiche von uns unhinterfragte tägliche Rituale durch, die (unbewusst) auf die Normerfüllung abzielen. Hierfür verwendet Johannes Krause (2018) den Begriff des Schönheitshandelns, womit er inkorporierte alltägliche Handlungen, wie die morgendliche Dusche, das Zähneputzen, die Rasur etc. bezeichnet.
Dabei sind wir in unserem täglichen Schönheitshandeln alles andere als selbstbestimmt, da es sich an den Schönheitsnormen sowie den Handlungen anderer orientiert. Bei der Haarentfernung und beim Gebrauch von Make-up orientiert sich das Individuum beispielweise an den geltenden Normen und Erwartungen, die mit dem Alter, der Geschlechtszugehörigkeit, der Klasse und/oder der kulturellen Identität des Individuums einhergehen. Interessanterweise sind die Normen des Schönseins soweit verinnerlicht, dass die Fremdzwänge meist als Selbstzwänge gefasst werden. Laut Nina Degeles (2004) ethnographischer Studie hat die „Ideologie des privaten Schönheitshandelns“ den Zweck die Illusion von Unabhängigkeit und Selbstbewusstseins zu erzeugen. Denn sich für andere schön zu machen, würde „Abhängigkeit, mangelndes Selbstbewusstsein und wenig Charakterfestigkeit“ (S.6) signalisieren. Unser Schönheitshandeln zielt darauf ab uns in spezifischer Weise zu präsentieren und uns in unserem sozialen Umfeld zu positionieren.
Wie empirische Studien (Koppetsch, 2000; Degele, 2004; Krause, 2018) zeigen, hat das Schönheitshandeln für als Frauen gelesene Personen eine größere Bedeutung als für ihre männlichen Pendants. Das Thema der Schönheit offenbart somit auch die besondere Position der Weiblichkeit in der Geschlechterordnung. Während die Attraktivität von Frauen stärker auf der Grundlage körperlicher Schönheit beurteilt wird, liegt bei Männern, im Gegensatz dazu der Fokus mehr auf deren Handlungen und Ausstrahlung (Degele, 2004). Dies reproduziert Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, bezüglich des Aufwandes an Geld und Zeit, der erwartet wird, von Individuen in „Schönheit“ investiert zu werden. Um mehr über die Unterscheidung zwischen Mann und Frau und den sogennanten „Pink-tax“ zu erfahren hört euch gerne die zweite Folge des Podcasts „Körperbehaarung als Komponente geschlechtsspezifischer Ungleichheit“ an. In diesem Blogbeitrag möchte ich aber darauf aufmerksam machen, dass das binäre Schema von Mann/Frau und die damit verbundene heterosexuelle Matrix (Butler, 2002; mehr dazu in Folge eins des Podcasts „Körperbehaarung als Komponente geschlechtsspezifischer Ungleichheit“) durch das alltägliche Schönheitshandeln (re)produziert wird, und dass Akteur*innen nicht einfach aus dieser kontinuierlichen (Re)produktion der Geschlechterordnung austeigen können, weil soziale Strukturen auf einem tiefen und komplexen Niveau im Subjekt verankert sind.
Je nach unserer sozialen Positionierung lernen wir uns an den „richtigen“ Stellen die Haare (nicht) zu entfernen und an den „richtigen“ Stellen die Haare (nicht) lang wachsen zu lassen, die „richtige“ Kleidung und das „richtige“ Parfum zu tragen etc. Damit signalisieren wir unseren Mitmenschen unsere soziale Zugehörigkeiten. Schönheitshandeln ist nicht nur geschlechterspezifisch, sondern reproduziert auch aufgrund dessen, dass die Arbeit am Körper monetäre und als zeitliche Ressourcen erfordert, eine andere Form der sozialen Distinktion (Krause, 2018). Dies wiederum bedeutet, dass die Menschen, die aus verschiedenen Gründen andere Schönheitsrituale durchführen abgewertet und mit sozialen Sanktionen konfrontiert werden. Auch Bourdieu (1982) argumentiert im Rahmen seiner Studien zum Habitus, dass geschlechtsspezifische Merkmale nicht von den klassenspezifischen Merkmalen zu isolieren sind (vlg. Villa, 2011, S. 135). Die vergeschlechtlichte Dimension der verkörperten sozialen Ungleichheiten weist also darauf hin, dass spezifische Männlichkeiten/Weiblichkeiten sich in Wechselwirkung mit anderen Strukturkategorien ergeben (Villa, 2011).
Körper-Politik in sozialen Bewegungen
Der Körper ist also alles anderes als privat, und die Art und Weise in der Individuen ihre Körper manipulieren als auch wie diese handlungsfähig sind, ist strukturell eingeschränkt. Die Machtlosigkeit des Individuums im Wiederstand gegenüber den gesellschaftlichen Normen des schönen Körpers unterstreicht die Notwendigkeit, Körperfragen auch in sozialen Bewegungen zu politisieren.
Die Frauenbewegung politisiert Körperfragen schon lange. Sie nutzt den Körper als Mittel des
Protests. Die Politisierung von Körper und Sexualität wurde für die zweite Welle der
Frauenbewegung in Nord-Amerika und West-Europa ein zentraler Mobilisierungsfaktor (Schmincke, 2019). Protest gegen den fremdbestimmten Umgang mit weiblichen Körpern machte den Körper „zum politischen ‚Kampfplatz‘ um die Autonomie des (weiblichen) Selbst“ (Villa, 2011, S. 75). Im Zuge der Frauenbewegung wurden körperliche Erfahrungen in den Begriff des Politischen mit einbezogen. Dies verdeutlichte, dass individuelle Erfahrungen auch überindividuell sein könnten und sich dadurch auch gesellschaftliche Verhältnisse vermitteln lassen (Schmincke, 2019).
Die Dritte Welle des westlichen Feminismus (seit den 1980er-Jahren), thematisiert stärker als zuvor Sinn und Zweck bestimmter die Schönheitsideale. Dies hat bereits zu einer zunehmenden Ablehnung gängiger Schönheitsideale geführt, so dass mehr Individuen auf Make-up, Diäten und Ähnliches verzichten. Andere reklamieren einige Elemente der Schönheitsideale für sich, wodurch sie sozusagen nur bestimmte Elementen auswählen, während sie gleichzeitig selbstbewusst das gesamte Paket der traditionellen Weiblichkeit ablehnen (Schmincke, 2019).
Die Körperpolitik verdeutlicht, dass individuelle Erfahrungen gesellschaftliche (überindividuelle) Verhältnisse vermitteln, was wiederum das Anliegen stärkt, Körperfragen als Ausgangspunkt für Politik zu nehmen und die Trennung zwischen dem Privaten und dem öffentlichen weiter aufzulösen. Das Bewusstsein darüber, dass geschlechterspezifische Schönheitsideale sozial konstruiert sind, sollte dazu befähigen reflektieren zu können, warum wir bestimmte Schönheitsrituale, wie z.B. die Bein-Rasur überhaupt durchführen. Hoffentlich führt dies gleichzeitig auch zu mehr Akzeptanz gegenüber denjenigen, die sich nicht an geschlechtsspezifische stereotype Kleidung oder Konventionen halten wollen.
Carlotta Kunze
Quellen
Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft.
Frankfurt a.M.:Surhkamp.
Butler, Judith. Performative Akte und Geschlechterkonstitution, in: Uwe Wirth, Performanz:
Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften: Zwischen
Sprachphilosophie zur Kulturwissenschaft, Frankfurt 2002, S. 301-320.
Degele, N. (2004) „Ganz schön inszeniert. Überlegungen zu Heteronormativität und
Schönheitshandeln“, Feministische Studien, 22(1), S. 6–21. doi: doi:10.1515/fs-
2004-0103.
Koppetsch, C. (2000) Die Verkörperung des schönen Selbst. Zur Statusrelevanz von
Attraktivität. na.
Krause, J. (2018) Schönheitshandeln: Der Einfluss des Habitus auf die Bearbeitung desKörpers. Springer.
Schmincke, I. (2019) „Das Private bleibt politisch!“ (Körper)Politik im Wandel von der
zweiten zur dritten Welle des Feminismus. Universität Hamburg. Verfügbar unter:
https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/25201.
Villa, P.-I. (2007) „Der Körper als kulturelle Inszenierung und Statussymbol“,
Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst soFid. DEU, (Kultursoziologie und
Kunstsoziologie 2007/2), S. 9–18.
Villa, P.-I. (2011) Sexy Bodies. 4. Wiesbaden: Springer.