„Ungleichheit“ im System Spotify

Im September 2020 wurde die Doku-Serie Get Back veröffentlicht. Bei vielen Musikliebenden kommt es daher zu einem Wiederaufleben der Begeisterung für die britische Band The Beatles. Die in den 1960er-Jahren aktive „erfolgreichste Band der Welt“ mit mehr als 1 Milliarde verkauften Tonträgern ist bis heute aus der westlichen Musikkultur nicht wegzudenken. Selbst bei Streaminganbietern wie Spotify finden sich in vielen Playlists Songs der Fab Four wieder. Im Vergleich zu den Weltstars haben es viele durch die Corona-Krise gebeutelte Musiker:innen schwer sich über das Streamingformat zu finanzieren. Warum das so ist, soll im Folgenden ergründet werden.

Seit der Auflösung der Band Anfang der 1970er-Jahre hat die Musikindustrie eine gewaltige Transformation durchlaufen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung „schrumpften“ Tonträger zunächst von der Vinyl-Schallplatte zur Compact Disc (CD). Damit wurde auch das Mitschneiden und Kopieren von Musik auf Datenträger ohne großen Qualitätsverlust möglich. Durch aufkommende Online-Tauschbörsen wie z. B. Napstar, musste Musik zeitweise nicht mehr gekauft werden, „sondern stand irgendwo im Netz als ebenso schnell herunterlad- wie auch wieder löschbarer Datensatz zur Verfügung.“. Die Musikindustrie befand sich in einer schweren Krise. Anfang der 2000er-Jahre entwickelte sich, parallel zur Popularisierung des Internets, die Abwicklung von Musikverkäufen in Form von Downloads. Diese wurden auf spezialisierten Online-Plattformen wie z. B. iTunes bereitgestellt. Dieser Tage generiert die Musikindustrie ihren hauptsächlichen Umsatz über das Streamen von Musik bei Online-Anbieter wie z. B. Spotify, Apple Music, Amazon Music. Die Konsumption von Musik ändert damit sich grundlegend. Es gilt die Formel: Zugriff statt Besitz. Dabei bezahlen die Konsument:innen einen monatlichen Betrag an den Anbieter, welcher dann eine nahezu unbegrenzte Fülle an Musiktiteln, Hörspielen, Podcasts etc. zur Verfügung stellt. Musik ist von nun an Eight Days A Week verfügbar.

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Der führende Global Player des Musikstreamings ist Spotify. Knapp 32 % der zahlenden Abonnent:innen weltweit von Musikstreaming entfallen auf das 2006 gegründete schwedische Unternehmen (Stand: 1. Quartal 2021). Mit über 100 Millionen Abonnent:innen bildet der Branchenriese geführt von Mitbegründer und CEO Daniel Ek die aktuell einflussreichste Schnittstelle zwischen Kunstschaffenden und Konsument:innen in der Musikindustrie. Spotify ist derzeit in 237 Ländern verfügbar. Die Erfolgsgeschichte des System Spotifys lässt sich an den Umsatzzahlen der letzten Jahre nachvollziehen: Zwischen 2017 und 2021 wuchs der Umsatz Spotifys von 4,09 auf 9,668 Millionen Euro an. Dies bedeutet einen Anstieg um mehr als das Doppelte. Vor allem der Konzern an sich, sowie Major-Labels und die dort engagierten meist schon populären Künstler:innen sind die Profiteure dieses Systems. Wieso ist das so? Ein Einblick in das Ausschüttungssystems Spotifys klärt auf: Musiker:innen, können nur über bestimmte Distributoren (meist die Labels bei denen sie unter Vertrag stehen) Songs bei Spotify veröffentlichen. Für die Auszahlung relevant ist die Klickzahl eines Songs. Die Einnahmen Spotifys generieren sich vor allem aus den monatlichen Beiträgen der Hörerschaft sowie Werbeeinnahmen. Ein Drittel aller Einnahmen behält Spotify selbst ein. Ein geringer Teil geht an Verwertungsgesellschaften (z. B. GEMA) und der größte Teil geht an die Labels der Künstler:innen. Die Labels kümmern sich um Vermarktung, Werbung, Events sowie die Auszahlung an die Musiker:innen. Abhängig von den Verträgen bekommen die Kunstschaffenden 10-20 % der Streamingeinnahmen. Der Verteilungsmechanismus bei Spotify nennt sich Pro-Rata-Modell. Dies beinhaltet eine anteilige Ausschüttung des Geldes, dass durch alle Klicks, egal von wem, in einem Land innerhalb eines Monats generiert wurde. Ein fiktives Rechenbeispiel: Wenn Paul McCartney in einem Monat 1 Milliarde mal gestreamt wurde, sind das 3 % aller Streams und dementsprechend würden 3 % der Gelder an Paul McCartney fließen. So geht das Geld eines Abonnenten der ausschließlich tibetanischen Mönchsgesang hört, vor allem an populäre Kunstschaffende wie Paul McCartney und nicht an die vom Individuum konsumierte Musikgruppe. Daher ist das aktuelle Streamingmodell Spotifys meist nur für populäre Künstler:innen rentabel. Baby, You’re A Rich Man…

Die Gewerkschaft Union of Musicians and Allied Music Workers (UMAW) rechnet auf ihrer Website vor, dass bei einer Ausschüttung von 0,0038 $ pro Stream (es handelt sich tatsächlich nur um Bruchteile eines Dollars) ein Song 786-mal gehört werden müsste, um eine Tasse Kaffee zu kaufen. Für die durchschnittliche monatliche Miete in Amerika (1078 $) benötigt es 283.684 Streams. An dieser Stelle wird deutlich, dass die meisten Künstler:innen nicht von den Streamingeinnahmen leben können. You Never Give Me Your Money… Das bedeutet nicht nur, dass viel zu wenig Geld bei den meisten Musiker:innen ankommt, sondern auch dass die Produktion der Musik (Aufwandskosten, Personalkosten, Equipment) nicht durch das Streaming finanziert werden kann.

Ein weiterer Punkt besteht darin, dass das Erreichen einer hohen Klickzahl eines Songs oft erst möglich ist, wenn der jeweilige Titel in verschiedenen Playlists gelistet wird. Die am meisten gehörten Playlists betreibt Spotify selbst. Über diese den Usern vorgeschlagenen Listen werden auch ein Großteil der Klicks generiert. Darüber wie diese Auswahl an Songs zustande kommen, äußert sich das Unternehmen nicht. Auffällig ist, dass es sich fast immer um Songs von sogenannten Major-Labels (Sony Music, Warner, Universal) handelt, welche den Hauptanteil der Musikrechte am Markt besitzen. Auch die algorithmenbasierte Empfehlungsseite für neue Songs oder der dem Hörverlauf angepasstes Song-Radio wirft Fragen auf, mit welchen Algorithmen wie darüber entschieden wird, welcher Song gespielt wird.

Neben den Songvorschlägen ist auch der Erfassungsmechanismus für Klickzahlen algorithmengesteuert. So gilt ein Song ab 30-sekündiger Abspieldauer als gestreamt und wird dann erst in den Auszahlungsmechanismus eingebunden. Dies führt dazu, dass kürzere Songs mit höherer Wahrscheinlichkeit mehr geklickt werden als längere – man nennt dies den Wiederspielwert. Besonders begünstigt durch den Algorithmus sind Songs aus dem Rap-Genre. Klassische oder auch experimentelle Musik, die oft aus längeren Stücken besteht, wird potenziell weniger gestreamt. Viele Künstler:innen, die ihre Musik vor allem über Streamingeinnahmen finanzieren wollen, passen daher ihre Veröffentlichungen an den algorithmischen Bedarf an: Im Jahr 2021 waren die Top-10-Hits durchschnittlich 30 Sekunden kürzer als noch ein Jahr zuvor. Bezüglich der Algorithmen Spotifys lässt sich festhalten, dass die Musiker:innen die am meisten der Plattform entsprechen durch diese begünstigt werden.

Revolution. Der Berliner Musiker Valentin Hansen hat 2020 mit dem Release seines Albums Crisis (The Worthlesss Album) auf künstlerische Art und Weise deutliche Kritik gegen das System Spotify formuliert. Alle 8 veröffentlichten Songs sind in 29 Sekunden lange Parts zerlegt, sodass, egal wie oft das Album gehört wird, der Klick-Algorithmus nicht anschlägt. In Form einer Installation mit mehr als 50 Handys, die ununterbrochen über mehrere Accounts seine Musik abspielen, kritisiert Hansen die das Konzept den Wert von Musik über Klickzahlen zu definieren.

Come Together. Neben einzelnen Musiker:innen hat die Gewerkschaft UMAW seit März 2021 in 31 Städten ein Zeichen gesetzt und weltweit für eine gerechtere Bezahlung und mehr Transparenz bei Spotify demonstriert. Zentrale Forderungen der gestarteten Initiative Justice at Spotify waren dabei eine Festlegung auf die Auszahlung von 1 Cent pro Stream, eine Änderung des Ausschüttungsmodells und mehr Transparenz in Bezug auf Algorithmen und Deals mit Major-Labels. Die UMAW schlägt das User-Centric Payment System vor, bei dem das Geld eines Fans auch an diejenigen Musiker:innen geht, die die Person gestreamt hat. Das heißt der Betrag, den Nutzer:innen monatlich an Spotify zahlen, würde den direkt gestreamten Musiker:innen zugute kommen und nicht indirekt populäre Künstler:innen ungleich mehr unterstützen. Imagine…

Der Streamingdienst Deezer gilt bereits als „eifriger Verfechter“ dieses Modells. Spotify reagierte darauf mit dem Launch der Website Loud and Clear, welche als Initiative für mehr Transparenz gedacht ist, jedoch für keinerlei Änderungen der Auszahlungsverhältnisse sorgt. Weiterhin argumentierte das Unternehmen, dass für die Auszahlung der Tantiemen die Labels verantwortlich seien. Dies ist nicht von der Hand zu weisen: Viele Musiker:innen die schon länger bei Labels unter Vertrag stehen, verfügen über rechtliche Konditionen, die nicht an das aktuelle Streamingmodell angepasst sind. So kommt es, dass von den oftmals so schon geringen Ausschüttungen lediglich ein sehr geringer Teil bei den Kunstschaffenden landet.

Was hätten die Beatles dazu gesagt? It’s getting better all the time!? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Während durch Streamingplattformen wie Spotify eine überwältigende Vielfalt an Musik für Hörer:innen weltweit verfügbar ist, die Musikindustrie wiederbelebt werden konnte und auch viele unbekannte Musiker:innen sich auf einer Plattform darstellen können, besteht jedoch keine Chancengleichheit auf Spotify. Populäre Künstler:innen und deren Labels und an Algorithmen angepasste Musik, werden im System Spotify begünstigt. Man kann dagegenhalten, dass das The-winner-takes-it-all-Prinzip und die zugrundeliegenden Ungleichheitsstrukturen auch vor dem Musikstreaming schon vorhanden waren. Dies rechtfertigt jedoch nicht, dass die Mehrheit der Musiker:innen im aktuellen Pro-Rata-System kaum an der produzierten Musik verdienen. Für gerechtere Bedingungen müssten Verträge zwischen Labels und Kunstschaffenden neu justiert, ein user-zentriertes Ausschüttungssystem eingeführt werden und Transparenz von Seiten Spotifys über Algorithmen und Verträge mit Labels geschaffen werden. Wer Künstler:innen abseits von Spotify unterstützen möchte, kann dies über Spenden-Plattformen wie  z. B. Patreon tun.

Jannes Hansen

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