Die Internetpräsenz der IGM Ostbrandenburg wirkt schon beinahe eindringlich, wie sie versucht, potenzielle Tesla-Mitarbeiter*innen anzuwerben, um Mitglied der Gewerkschaft zu werden. Doch was veranlasste die IG Metall unweit der Tesla Großbaustelle „Gigafactory Berlin-Brandenburg“ ein Gewerkschaftsbüro noch vor Inbetriebnahme der Fabrik zu eröffnen?
Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein anfänglicher Blick in die USA, wo Tesla schon zwei der zukünftig fünf geplanten Gigafactories unterhält. Welche Haltung das US-amerikanische Unternehmen gegenüber Gewerkschaften vertritt, wird durch ein von ZDF-Journalisten geführtes Interview mit der Vizepräsidentin der „United Auto Workers“ Gewerkschaft sehr deutlich. Schon in den Jahren 2016/2017 unterband das Unternehmen gezielt innerbetriebliche Tendenzen hin zu einem gewerkschaftlichen Mitspracherecht besonders im Hinblick auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte, indem es die entsprechenden Akteure bedrohte bzw. schlichtweg kündigte. Umso deutlicher bewirbt die IG Metall den in der Metall- und Elektroindustrie gängigen Tarifvertrag. Dieser sieht nicht nur geregelte Arbeitszeiten, sondern auch verbindliche Arbeitsregelungen vor.
Ein Blick auf die eingetragene Rechtsform der vierten Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg offenbart ein weiteres, aus gewerkschaftlicher Sicht der IG Metall höchstanzufechtendes Problem: die Societas Europaea, kurz SE. Während sich in Deutschland eine GmbH oder Aktiengesellschaft verpflichten muss, je nach Anzahl der Beschäftigten, ein prozentuales (zu 30% bzw. 50%) oder gar paritätisches, d.h., gleichberechtigtes Mitbestimmungsrecht einzuräumen, kann die im Jahr 2004 eingeführte Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE)die Art der betrieblichen Mitbestimmung für die Arbeitnehmer*innen von vornherein bei Unternehmensgründung festlegen. Zwar besteht so, theoretisch gesehen, von Beginn an die Möglichkeit, ein paritätisches Mitbestimmungsrecht für die Arbeitnehmer*innen juristisch festzulegen, doch zeigten die vergangenen Jahre eine andere Entwicklung. Die IG Metall erläutert diesbezüglich das sog. „Vorher-nachher-Prinzip“. Wenn bei Unternehmensgründung festgelegt wurde, dass die Mitarbeiter*innen kein Mitbestimmungsrecht genießen, dann gilt dieser Entschluss auch, wenn die Zahl der Beschäftigten die gesetzlichen Unternehmensgrenzen überschreitet. Dabei kann ein Unternehmen nicht nur zu einer SE verschmolzen werden oder eine SE als Tochterunternehmen gründen, sondern laut IG Metall auch eine sog. „Vorrats-SE“ aufkaufen. Diese „Vorrats-SE“ kann, muss aber nicht über ein Mitbestimmungsrecht verfügen geschweige denn Mitarbeiter*innen beschäftigen. Es handelt sich dann ausschließlich um eine Briefkastenfirma mit welcher die gesetzlichen Arbeitnehmer*innenrechte übergangenen werden. Die Rechtsform der im Bau befindlichen Tesla Gigafactory in Grünheide „kaufte eine Düsseldorfer Vorrats-SE, änderte den Firmennamen [Tesla Brandenburg SE, Anm. d. V. ] und verlegte den Gesellschaftssitz nach Brandenburg“ (Daniel Hay). Während andere EU-Länder dieser Praxis mit Hilfe von Gesetzesänderungen entgegenzuwirken versuchen, besteht in Deutschland noch großer Handlungsbedarf. Welche Rolle die deutsche bzw. brandenburgische Landespolitik einnimmt, lässt sich nicht wirklich eindeutig klären. Schon die Tatsache, dass die Baustelle in Grünheide nicht einmal über eine Baugenehmigung verfügt, sondern auf eigenes Risiko lediglich mit Hilfe von Vorabgenehmigungen den Bau beginnen und fortsetzen konnte zeigt eindeutig in welchem Tempo das US-amerikanische Unternehmen in Deutschland expandiert. Hinzu kommt, dass die zukünftige Fabrik noch inmitten eines Trinkwasserschutzgebietes entsteht.
Tesla wirbt derweil fleißig Bewerber*innen an und zeigt sich diesen gegenüber als modernes, zukunftweisendes Unternehmen, dessen „Vergütungspaket [..] ein wettbewerbsfähiges Gehalt sowie Tesla-Aktien oder Boni [umfasst]“. Dabei werden keine konkreten Angaben über deren Höhe preisgegeben. Es werden darüber hinaus „typische Leistungen [..] [wie] ein Programm zur betrieblichen Altersvorsorge, 30 Urlaubstage, Arbeitnehmerversicherungen sowie Unterstützung bei Umzugs- sowie Pendlerkosten [angeboten]“. Ob diese Leistungen auch allen zukünftigen zwölftausend Arbeitnehmer*innen gleichermaßen zur Verfügung stehen, ist ebenfalls mehr als fraglich, da kein gewerkschaftlicher Tarifvertrag gewollt ist.
Besonders hinsichtlich der Tesla Aktien oder anderweitiger Boni erscheint eine Untersuchung aus arbeitsmarktheoretischer Perspektive besonders wichtig. Während innerhalb eines organisationsübergreifenden Tarifvertrages die Arbeitnehmer*innenrechte fest geregelt sind, befördert die beschriebene Aktienoption eine Prekarisierung der Arbeit hin zum „Arbeitskraftunternehmers“. Dieser von Hans Pongratz und Günther Voß beschriebene Typus erfährt durch „eine systematische erweiterte Selbstkontrolle der Arbeitenden, einen Zwang zur forcierten Ökonomisierung ihrer Arbeitsfähigkeiten, sowie eine entsprechende Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung“. Die dadurch für die Arbeitnehmer*innen einwirkende Internalisierung unternehmerischer Interessen und Profitziele führt letztendlich zur Entfremdung der Arbeitnehmer*innen, welche nicht, wie im Tarifvertrag vorgesehen, durch eine gewerkschaftliche Instanz unterstützt werden können. Tesla hingegen schafft durch die ihrerseits forcierte Externalisierung ein Arbeitsklima, in dem die Beschäftigten selbst ihren Monatslohn miterwirtschaften. Dabei stehen die ausgeschütteten Aktienpakete in keinem Verhältnis zu den Aktiendividenden der Großinvestoren Teslas. Eher wird den Arbeitnehmer*innen eine Illusion von Selbstkontrolle hinsichtlich ihrer eigenen Entlohnung vermittelt. Fakt ist, der Monatsendlohn kann und wird voraussichtlich variieren.
In Anbetracht der beschriebenen Umstände, erscheint es offensichtlich, mit welcher Notwendigkeit die IG Metall zukünftige Tesla-Beschäftigte versucht anzuwerben. Ohne eine Mehrzahl von IG Metall Mitglieder*innen innerhalb der Tesla Brandenburg SE, wird es schwierig, verbindliche Vertragsbedingungen zur Einhaltung der deutschen Arbeitnehmer*innenrechten durchzusetzen. Das wiederum zeigen Beispiele aus den USA, in denen Tesla Beschäftigte einem Arbeitsklima unterstehen, welches freie Meinungs- bzw. Kritikäußerung am Unternehmen massiv erschwert.
Welche Haltung nimmt die brandenburgische Landespolitik dem Thema gegenüber ein? Diese müsse nach Pongratz und Voß: „sozial- und tarifpolitische sowie arbeitsrechtliche Rahmen [..] schaffen, […] und dafür sorgen, daß [sic] damit eine vor verschärfter Fremd- und Selbstausbeutung geschützte, materiell, psychisch und sozial akzeptable Form von Alltag und Biographie entwickelt werden kann“. Die Brandenburger Landesregierung hingehen sieht sich lediglich dazu verpflichtet, „auf die Vorzüge von betrieblicher Mitbestimmung und Tarifbindung hin[zu]weisen“
So entfaltet sich ein Gesamtbild in welchem die Arbeitnehmer*innenrechte von Seiten Teslas schon zu Beginn der unternehmerischen Tätigkeiten in Grünheide durch die Gründung einer Societas Europaeastrukturell umgangen werden. Elon Musk übt massiven Druck in Form von Schnelligkeit auf die zuständigen Behörden aus. Dies zeigt sich unter anderem anhand der noch immer ausstehenden finalen Baugenehmigung der Fabrik. Die Landespolitik scheint so „hungrig nach Erfolg und hungrig nach Industrie“ zu sein, dass selbst Trinkwasserschutzgebiete mit Vorabgenehmigungen überbaut werden und letztendlich der Verantwortung zur Kontrolle und Regulierung der Arbeitsbedingungen bei Tesla nicht nachgegangen wird. Es ist mehr als besorgniserregend welche Entwicklung in Grünheide zu beobachten ist, sodass die gewerkschaftlichen Interessen der IG Metall mehr als verständlich, wenn nicht sogar notwendig erscheinen. Ob die obligatorische Betriebsratswahl Anfang diesen Jahres eine wirkliche Kehrtwende hin zu besseren Arbeitsbedingungen bedeutet, bleibt zu beobachten.
Jonas Kriegsmann