“Wir saßen vor dem Fernsehen und sahen die Models bei Germany`s Next Topmodel über den Laufsteg laufen. Die eine stellte sich in einer Pose vor Heidi Klum, hob ihren Arm nach oben und drehte sich. Heidis erste Frage an sie war, wann sie sich das letzte Mal rasiert hätte. Sie antwortete, dass das erst am Morgen gewesen sei, ihre Haare aber schneller nachwachsen würden. Daraufhin schaute Heidi angewiderte und entgegnete, dass das gar nicht geht, wie unhygienisch das ist und Frauen keine Achselhaare zeigen. Ich weiß noch, wie ich dachte, achso, die Arme. Die kann zwar nichts dafür, aber alle denken jetzt von ihr, sie ist ekeliger, sie kann jetzt kein Topmodel mehr werden. Wie froh ich in diesem Moment war, dass meine Achseln schöner sind.” (Marie, 23, Juristin)
Was ist schön und wie werde ich schön? Diese Fragen bewegt die Gesellschaft schon seit Jahrhunderten. Nichts scheint so wichtig, wie die Fragen nach der Schönheit und der Optimierung dieser. Während Schönheitsprodukte teuer vermarktet werden und Operationen für ‚kleine Beauty Eingriffe‘ erschwinglicher werden, gestattet die digitale Welt einen stetigen Zugang zur monetären und visuellen Konsumierung von Beautyroutinen. Von Youtuber:innen und Instagramer:innen können Pflegeprodukte mit Rabattcodes erworben werden und in einem passenden Video dazu, erfahren User:innen, wie die Umsetzung zu einem schöneren Selbst gestaltet werden kann. Jeden Tag werden wir mit einem Ideal, einer bestimmten Vorstellung und dem Aufruf zur Optimierung des eigenen Selbsts, konfrontiert. Sich schön zu machen und sich schön zu fühlen scheint ein Ziel zu sein, dem jede:r folgen möchte (vgl. Schemer 2006: 13). Aber nicht nur möchte, sondern auch muss. Denn obwohl die Frage nach dem, was Schönheit eigentlich ist, nicht ganz geklärt werden kann, ist eins klar: Sie ist erstrebenswert.
Schönheit ist wichtig und elementar. Nicht verwunderlich, dass jede:r sie als Richtwert zu setzen scheint. Das Auseinandersetzen mit Schönheit findet kontinuierlich auf allen Ebenen des alltäglichen Lebens statt: In der Mode, in der Kunst, in der Architektur und in Körpern. In Gewicht, Körperform, Haut, Gang und Haaren. In all diesen Bereichen festigen sich bestimmte Vorstellungen von dem, was als schön gilt. Diese wandeln sich zwar abhängig von Zeitepoche und Kultur, halten sich jedoch jeweils sehr verbissen. Verbissen muss dann auch daran gearbeitet werden, dass diese Schönheit erreicht wird und kontinuierlich bestehen bleibt (vgl. Posch 1993: 14). Wer schön sein will, muss auch was dafür tun. Vor allem Frauen. Wer schöne Achseln haben möchte, soll sie sich rasieren. Genauer gesagt, behaarte Achseln machen nicht nur partielle Körperteile ‚unattraktiv‘, sondern scheinbar die gesamte Person. Während circa drei Millionen Zuschauer:innen ab 3 Jahren auf dem TV verfolgen, wie Achselhaare als etwas ekeliges konnotiert werden, festigt sich ein Ideal: Frauen haben keine Achselhaare (vgl. Statista 2022). Nicht, dass sie anatomisch nicht dazu in der Lage wären. Sie haben einfach keine zu haben. Während Männern freie Möglichkeiten gelassen werden etwaige Rasurentscheidungen zu treffen, werden diese in das Schönheitsbild von Frauen fest eingeschrieben. Während “Aussehen von Frauen kritischer beurteilt und bereitwilliger gedeutet [wird und sie] stärker belohnt, wenn sie schön sind und heftiger zurückgewiesen werden, wenn sie Normen nicht entsprechen”, ist körperliche Attraktivität bei Männern grundsätzlich weniger wichtig. Zudem können diese mit beruflichem Erfolg beispielsweise ‚kompensiert‘ werden (Posch 1999: 16). Obwohl es keine geschlechtlichen Unterschiede bezüglich der Haarwurzeln gibt, werden Ideale rund ums schön sein, gern mit Geschlechtsmerkmalen erklärt. So wurde Frauen ab dem 18. Jahrhundert der Mythos des schönen Geschlechts zuteil und seither wird dieser in das Handeln und Herstellen von Schönheit rund ums Frau-sein eingebunden. Frau-sein wird mit schön-sein verbunden und fest erwartet. Geschlecht und die Darstellung des Körpers werden in Verbindung gesetzt, konstruiert und stetig reproduziert. Dass Frauen keine Körperbehaarung (bis auf schöne lange Haare) haben sollen, wird in ihr Frau-sein eingeschrieben und nur das gilt als schön. Warum diese starren sich reproduzierenden Strukturen?
Judith Butler entwickelte 1991 eine Theorie zum System der Zweigeschlechtlichkeit: die heterosexuelle Matrix. Geschlecht ist hier die strukturgebenden Kategorie. Menschen sollen sich selbst und andere deutlich in die Kategorie Geschlecht: in Mann oder Frau einordnen. Die vermeintlich natürlichste Unterscheidung, der biologischen, ist dafür ausschlaggebend. Babys werden anhand ihrer primären Geschlechtsmerkmale (Vulva oder Penis) in Mädchen/Frau oder Jungen/Mann unterteilt. Durch die anatomische Zuteilung entwickelten sich historisch Vorstellungen von Geschlechtscharakteren und einem Verständnis von geschlechtlichen Rollenverteilungen heraus. Eigenschaften, Charakterzüge, Verhaltensvorstellungen und das äußere Erscheinungsbild werden anhand der biologischen Unterteilung ebenfalls dichotom zugeteilt. ‘Sex’(anatomisches Geschlecht) und ‘gender’(soziales Geschlecht) sollen dabei deckungsgleich agieren und keinerlei Abweichungen aufzeigen. Gesellschaftlich werden klare Verbindungen zwischen ‘sex’, ‘gender’ und ‘desire’ (dem natürlichen Zuordnen der Heterosexualität) hergestellt, welches sich in allen Körpern widerspiegeln soll. Abweichende Körper, wie intersexuell geborene Kinder, werden ‘korrigiert’, durch die Entscheidung der Eltern (vgl. Butler 2009: 91). Das starre Gerüst, in dem alle Menschen agieren, hat ihren Ursprung in einer dichotomen Geschlechtsvorstellung. Den Vorstellungen von Geschlecht werden in ein Agieren übertragen. Individuen vollziehen ein stetiges ‘tun’ ihres Geschlechts: ‘doing gender’. Das Tun ist dabei weniger als gewollt bewusstes Handeln von Akteur:innen zu deuten, vielmehr kann es als dahinterstehende soziale Ordnung identifiziert werden, welche durch routinierte Handlungsmuster gesteuert wird. Durch dieses unbewusste Tun wird Identität anhand des Geschlechts hervorgebracht und stetig reproduziert (vgl. Gildemeister 2019: 411). Indem Heidi Klum in ihrer Sendung der typisch zugeschriebenen Eigenschaft des haarlosen Körpers einer Frau nicht nur verpflichtend zustimmt, sondern Abweichungen dessen als abstoßend deklariert, wird die heterosexuelle Matrix gefestigt und reproduziert. Abweichende Körper werden dafür bestraft, nicht einer vorgegebenen, vermeintlich natürlichen Norm zu entsprechen. Die diskreditierenden Aussagen über eine ‘behaarte’ weibliche Achsel vor einem Millionenpublikum wirken beschämend für die Betroffenen und Körper werden in ihrer eigentlichen ‘angeborenen’ Natürlichkeit aus der Schönheit ausgeschlossen. Frauen mit behaarten Achseln passen nicht in das Bild des typisch weiblichen Ideals haarlos zu sein. Während hier ein paar Haare zu solchen Reaktionen führen, sind beispielsweise transsexuelle Menschen, nicht eindeutig als weiblich oder männlich identifizierbare Menschen und genderfluide Menschen von Ausschluss und auch gewaltvoller Diskriminierung betroffen. Dabei soll Heidi Klum keine ‘Schuld’ dieses Ideals zugesprochen werden, dient sie vielmehr als Ausdruck des eingeschriebenen unausweichlichen Ideals einer ganzen Generation von Schönheitsvorstellungen und ihrem Streben nach diesen. Dem eigenen, von Geburt an zugeschriebenen Geschlecht zu entsprechen, sich danach zu richten und dabei eine Vorstellung von geschlechtsspezifischer Schönheit stetig herzustellen, ist ein Zwang. Achselhaare, Beinbehaarung, Intimbehaarung, usw. werden bei Frauen nicht akzeptiert. Die Enthaarung des weiblichen Körpers ist zu einer kulturellen Zwangsläufigkeit geworden, welche sich im Schönheitshandeln von Frauen wiederfinden lässt.
Inwiefern ist das jetzt schlimm?
Laut einer US-Studie aus dem Jahr 2018, geben Frauen im Leben rund 15.000 bis 20.000 US-Dollar für die Entfernung von Haaren an ihren Körpern aus und verwenden bis zu drei gesamte Monate ihres Lebens mit dem Entfernen von unerwünschten Haaren (vgl. Lechner 2018: 268)? Während dabei Frauenprodukte zur Haarentfernung mit dem sogenannten pink tax belegt werden, verdienen sie zudem durchschnittlich weniger als Männer. Während eine neoliberale Leistungsgesellschaft den jungen, fitten, weißen und glatte Körper als Norm setzt, werden Dienstleistungen rund um Schönheit für Frauen teurer gemacht.
Die Zwangsläufigkeit einen ‘normalen’ und ‘schönen’ Körper zu haben, schreibt sich so unwiderruflich in unsere Köpfe ein, dass wir diffusen, aber wirkmächtigen Normen folgen, die mit einer sozialen Anerkennung und einem enormen Wunsch nach Bestätigung unserer selbst verknüpft sind. Wissen wir doch, dass in diesem Sinne ‘schön’ zu sein Vorteile für uns bereithält, die den dahinterliegenden Druck zu legitimieren scheinen. Die Angst ausgeschlossen zu werden, der Wunsch nach Teilhabe und dass der eigene Körper durch das Annehmen von ‘männlicheren’ Eigenschaften an Weiblichkeit verliert, scheint tiefgreifender zu sitzen. Körpergebundene Strategien zum Herstellen von Schönheit verkörpern das schmerzliche Abmühen unserer Verortung im sozialen Raum, um die eigene soziale Existenz so ‘schön’ wie möglich zu legitimieren. Schönheitshandeln ist nicht nur eine Investition in die Zukunft, die mit verbesserten Arbeitsmarkt- und Aufstiegschancen und dem erhöhte Erfolg in der Partner:innenwahl einhergeht (vgl. Kwan & Tratner 2009: 54). Vielmehr ist es sogar Schutz vor Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt.
Wer schön sein will, muss also leiden? Ja. So kann wohl kaum jemand dem konstruierten Schönheitsideal und dem sozialisierten Druck in einer hochgradig kritischen Gesellschaft einfach so entkommen. Und nein. Haben wir doch die Möglichkeit uns auf uns selbst zurückzubesinnen und in einer Reflektion über normierten Schönheitsdruck, unsere eigene selbst gewählte Schönheit wiederzufinden und dem Schönheitswahn die Stirn zu bieten.
Isabell Werner
Quellen
Adams, Bärbel: »Körperhaarentfernung bei immer mehr jungen Erwachsenen im Trend«. https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/koerperhaarentfernung-bei-immer-mehr-jungenerwachsenen-im-trend-2008-11-18 (zuletzt aufgerufen am 22.2.2022) Butler, J. (2016): »Von der Performativität zur Prekarität«. In: Peters, Kathrin/Seier, Andrea (Hg.): Gender & Medien-Reader. Zürich/Berlin: diaphanes, S. 573–589. Elisabeth Lechner (2018): »Beyond Disgust – The Popfeminist Politics of Body Positivity«. Gildemeister, Regine/Hericks, Katja (2012): Geschlechtersoziologie. Theoretische Zugänge zu einer vertrackten Kategorie des Sozialen. München: Oldenbourg. Grabitz, Ileana/Simmank, Jakob/Faigle, Philip (2019) Schönheitsmarkt: Die stille Macht der Schönheit. In: Die Zeit, 02.12.19. https://www.zeit.de/kultur/2019-12/schoenheitsmarktkonsum-ideale-hirnforschung-schoenheitschirugie (zuletzt aufgerufen am 22.2.2022) Grabitz, Ileana/Simmank, Jakob/Faigle, Philip (2019) Schönheitsmarkt: Die stille Macht der Schönheit. In: Die Zeit, 02.12.19. https://www.zeit.de/kultur/2019-12/schoenheitsmarktkonsum-ideale-hirnforschung-schoenheitschirugie (zuletzt aufgerufen am 2.3.2022) Krause, Johannes (2018): Schönheitshandeln. Der Einfluss des Habitus auf die Bearbeitung des Körpers. Wiesbaden: Springer VS. Kwan, Samantha; Trautner, Mary Nell (2009): Beauty Work: Individual and Institutional Rewards, the Reproduction of Gender, and Questions of Agency. In: Sociology Compass 3 (1), S. 49–71. Marie, 23, Juristin (2022) – Interview durchgeführt von Isabell Werner am 15.02.2022 Peters, Kathrin/Seier, Andrea (Hg.) (2016): Gender & Medien-Reader. Zürich/Berlin: diaphanes. Posch, Waltraud (1999): Körper machen Leute. Der Kult um die Schönheit. Frankfurt/Main: CampusVerl. Statista: »Germany's Next Topmodel – TV-Zuschauer 2021 | Statista«. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/385737/umfrage/tv-zuschauer-von-germany-s-nexttopmodel/#statisticContainer (zuletzt aufgerufen am 17.3.2022) Villa, Paula-Irene (Hg.) (2008): Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst. Bielefeld: Transcript.