„Ein Freund, ein guter Freund
Das ist der größte Schatz, den’s gibt“
Seit die Sozialen Medien Einzug in unseren Alltag gefunden haben, besteht nun auch digital die Möglichkeit Freundschaften zu schließen. Online finden sich Gemeinschaften aufgrund von geteilten Interessen zusammen und haben durch technologische Weiterentwicklungen immer mehr Möglichkeiten miteinander in Verbindung zu treten. Wenngleich sich digitale Beziehungen von analogen unterscheiden, so sind die Prozesse spannend, mit denen Social Media Interaktionen zunehmend im Stande sind, Freundschaften zu imitieren. Dies ist auch der Fall, wenn YouTuber*in und Follower*in parasozial interagieren.
Das Konzept der parasozialen Beziehung, beschreibt wiederkehrende Interaktionen zwischen einer Medienperson und ihrem Publikum. Die Beziehungen sind schon in den traditionellen Massenmedien durch eine ungleiche Rollenverteilung bestimmt, bei der die Medienpersonen ihre Inhalte teilen und das Publikum diese Inhalte empfangen kann. In den Sozialen Medien kommt hinzu, dass Follower*innen die Möglichkeit haben direkt zu reagieren und auch Interaktionen zwischen Rezipient*innen werden durch digitale Tools animiert und erleichtert. Bei den Rezipient*innen kann das dazu führen, die Reziprozität der Verbindung zu imaginieren. Dieses gedankliche Konstrukt errichtet sich auf Informationen aus Videos und sonstiger Selbstdarstellung der Medienperson. Sie kreieren einen Wissensstand, der realen Freundschaften ähnelt, ohne dass der Zuschauer der Person je physisch begegnet ist. Damit die parasoziale Beziehung als möglichst ‚echt‘ erlebt werden kann, kommt es auf ein gelungenes Zusammenspiel aus Imagination der Followerin und Emotionsarbeit der Medienperson an.
Unter Emotionsarbeit versteht man zum einen emotional work durch selbstverständliche, alltägliche Veränderung von Gefühlen zur Optimierung zwischenmenschlicher Beziehungen. Zum anderen hat Emotionsarbeit im Sinne von emotional labor auch eine Dimension in der Welt der (Lohn-)Arbeit: Gerade in der Dienstleistunsgbranche sind Mitarbeitende dazu angehalten, den Ausdruck ihrer Gefühle für die Kundschaft bewusst zu kommodifizieren.
Auch wenn es bei YouTuber*innen diese Anleitung zur Emotionsarbeit von Seiten der*des Vorgesetzten nicht geben kann, erreichen auch Social Media Inhalte potentiell mehr Reichweite mithilfe von emotional labor. Die Emotionsarbeit besteht hier vorrangig darin, ein interaktives Publikum zu finden und die Emotionen in das richtige Medium einzuweben. Die öffentliche Darbietung des Privatlebens, die den besonderen Status von Influencer*innen erzeugt, stellt sich dabei auf unterschiedlicher Weise dar: Zum einen als makellos-positive Inszenierung der eigenen Person, zum anderen bedienen sich YouTuber*innen aber vermehrt Formaten, in denen sie Tränen und Ängste vor der Kamera zulassen bzw. emotionale Vulnerabilität bewusst präsentieren. Gelungene Emotionsarbeit soll ein Gefühl von Nahbarkeit und Echtheit beim Publikum erzeugen und so zur Stärkung der eigenen Abo-Community führen. Gerade unprofessioneller Content am Anfang einer YouTube-Karriere wird als authentisch empfunden und suggeriert Gemeinsamkeiten mit und Nähe zu den Rezipient*innen. In dieser Hinsicht weicht das emotional labor auf YouTube inklusive ‚echter‘ und negativer Gefühle von traditionellen Formen der Emotionsarbeit in der Dienstleistungsbranche ab.
Auch wenn es sich bei den Gefühlen, die YouTuber*innen in ihren Videos präsentieren, um reale Gefühle handeln kann, ist die Wahl des Austragungsortes in der Öffentlichkeit von Bedeutung. In den Sozialen Medien lassen sich durch wenige Klicks Gleichgesinnte finden, auch und teilweise besonders für negative Gefühlsäußerungen. Ungeachtet dessen, ob sich dieses emotionale Ventil für Trauer, Angst und Frust tatsächlich schwerer in der echten Welt finden lässt, scheinen Influencer*innen die richtigen Anreize zu setzen und Gefühle zu teilen, um Reziprozität zumindest in der Kommentarspalte zu fördern. Die negativen Gefühle finden online ihren einzigartigen Raum zum Produktivwerden und zu einer Steigerung des Gemeinschaftsgefühls.
Wichtig für das Phänomen von intensiven parasozialen Beziehungen auf Social Media ist es eine Balance zwischen der Einseitigkeit des Kommerzes und der Gegenseitigkeit der Community zu finden, besonders wenn der Bekanntheitsgrad steigt und bedeutsamere Profitsteigerungen in Aussicht stehen. Es gilt die Devise to know where you come from, welche YouTuber*innen – zumindest auf performativer Ebene – dazu verpflichtet die moralischen Ansprüchen ihrer z.T. lang gepflegten Abo-Unterstützer*innen zu erfüllen. Andernfalls wären die Vorteile der bedingten Glaubwürdigkeit gefährdet. Um diesen digitalen Raum der Intimität für Abonnent*innen herzustellen und instand zu halten, bedarf es bspw. Appelle zur Interaktion, spezifische Grußformeln und Insiderwitze und mehr. Dabei wird beständig versucht, möglichst reale Interaktionen zu imitieren und ein exklusives Gemeinschaftsgefühl zu kreieren. Eine zu ehrliche Transparenz – wie etwa eine Metakommunikation über die eigene Emotionsarbeit – gegenüber den Rezipient*innen kann hingegen zu einer Entzauberung der Online-Freundschaft führen. Damit gingen dann auch die Vorteile für Influencer*innen verloren, Produkte aus der Perspektive einer guten Freundin zu empfehlen, was die eigentliche Werbung wie einen selbstlosen Tipp erscheinen lassen kann.
Doch wo liegt das Problem, wenn auf Social Media initiierte emotionale Bindungen auf einer strategischen Performanz von Gefühlen basieren? Likes, Abos und Kommentare stehen sich in der parasozialen Beziehung produziertem Content und Kommerz gegenüber. Wenn digitale Interaktionen als ‚echte‘ gleichwertige Freundschaft wahrgenommen werden, intensiviert sich die persönliche Abhängigkeit von Social Media Plattformen weiter. Dies trübt den kritischen Blick auf die sozialen Netzwerke von Google und Meta und lässt ihre Monopolstellung unhinterfragt und ungehindert. Von Relevanz ist auch das Ausmaß der Kommerzialisierung von Emotionsarbeit auf Social Media. Denn während zwar auch der*die Kellner*in im Restaurant emotional labor ausübt und mit einem Lächeln und netten Worten mehr Trinkgeld verdient, sind die Dimensionen mit denen Influencer*innen durch Emotionsarbeit Profit steigern können weitreichender und intransparenter.
Auf der individuellen Ebene erfüllen die Sozialen Medien in mancher Hinsicht anscheinend schneller, besser, effizienter soziale Bedürfnisse, wenn immer mehr Menschen ihre Zeit und Energie den Plattformen widmen. Ohne zu sehr in Boomer-Manier („heutzutage spricht ja keiner mehr miteinander“) verfallen zu wollen, stellt sich die Frage, wie wir in Zukunft kommunizieren wollen und welche Rolle den Medien dabei zustehen darf. In der Beziehung zur Lieblings-Influencerin lohnt sich womöglich ein differenzierterer Blick. Denn die Kritikfähigkeit des eigenen Medienkonsums ist vor allem dann von Bedeutung, wenn wir emotionale Bindungen zu Influencer*innen aufbauen – wie eben auch bei einem guten Freund.
In der gesellschaftlichen Debatte um Mediennutzung sollten wir uns mehr damit auseinandersetzen, in welchen Aspekten Social Media helfen kann Gleichgesinnte zu finden und mit Freund*innen Kontakt zu halten, aber gleichermaßen skeptisch sein, wenn verbesserte Algorithmen die Bildschirmzeiten am Handy in die Höhe treiben und keine Zeit mehr für die wirklichwichtigen Dinge bleibt. Diese kritische Abwägung ist jedoch nicht leicht, besonders wenn man mit den neuen Medien aufwächst und es gar nicht anders kennt. Digital-Detox und Trainings zur Mediennutzung werden dafür nicht ausreichen, denn sie setzen nicht an der Wurzel des Problems an. Die Macht durch ständig neue Algorithmen, Apps und Aufmerksamkeitsgewinne liegt weiterhin bei den Konzernen.
Wer sich der Herrschaft von Social Media nicht länger unterziehen will, kann die Apps löschen und muss potenziell eine Weile die Kritik für Unerreichbarkeit in Kauf nehmen. Doch der private Boykott wird den Unternehmen nicht viel ausmachen. Wenn dann braucht es eine soziale Bewegung gegen die vorherrschenden sozialen Medien, die sie neu und sozialverträglich ausrichtet, statt weiter der kapitalistischen Logik zu folgen. Und wie findet man heutzutage Gleichgesinnte zum politischen Protest?
Schreibt Eure Gedanken doch in die Kommentare.
Michèle Guyot